Eine merkwürdige Feier

Eine feine Straße am Rhein
Eine feine Straße am Rhein

[Rheinprovinz, 1893] 1893 war ein glückliches Jahr. Sophies hochbetagten Eltern Anni und Jean ging es gut. Jakob leitete das „Stübchen“ für sie. Lorenz Bergmann kam mit seiner Frau Annelie aus den USA zu Besuch.

Jakob war unter Annis Anleitung zu einem umsichtigen und fröhlichen Gastgeber im „Stübchen“ geworden war. Er selbst war glücklich, wenn es den Gästen schmeckte.

Ein Besuch in der alten Heimat

Im Sommer kam Lorenz Bergmann noch einmal aus zu Besuch in seine alte Heimat, diesmal begleitet von seiner Frau Annelie. Auch Sophie und Andras Csabany waren da. Bei Lorenz‘ letztem Besuch war Lenas und Emils Tochter Susan ein Baby gewesen, Lottie und Joscha kannte er bislang noch gar nicht.

Sie alle hatten viele schöne Tage zusammen verbracht mit Ausflügen, Feiern und Gesprächen bis in die Nacht hinein. Lorenz hatte es sich nicht nehmen lassen, mit allen Siebengebirgsbahnen zu fahren. Auch den vollendeten Kölner Dom hatte er gesehen. Annelie kaufte überall Ansichtskarten und Broschüren. „Die sind für unsere Enkelin Chiara“, sagte sie strahlend. „Sie sammelt Ansichtskarten und Bilder aus der Heimat ihres Großvaters, und würde liebend gerne einmal selbst herkommen.“

Eine Rheintour „down memory lane“

Dann ging es zu einer Rheintour mit der ganzen Familie auf dem Dampfer von Sophies Bruder Hans. Nicht nur, dass Lorenz den mächtigen alten Strom wiedersehen wollte. Es war auch eine Reise „down memory lane“, wie er zu seiner Frau Annelie sagte. Bei seiner Flucht 1848 war er mit Hilfe von Jean und seiner Familie über den Rhein aus der Rheinprovinz entkommen, im Elsass an Land gegangen, und von dort über Belgien weiter auf einen Atlantikdampfer. Damals war das Elsass noch französisches Staatsgebiet. „Es war nicht richtig, Elsass-Lothringen zu annektieren“, sagte er leise zu Emil Bergmann, „ich bin froh, dass sich die Lage entspannt, und Ihr so gute Kontakte habt.“

Snobismus ..

Auch wenn es ein ganz privater Besuch war, hatte die Anwesenheit des Grafen Csabany doch für Aufmerksamkeit gesorgt. Die Ballsaison in vollem Gange, und man wollte sich gerne mit seiner Anwesenheit schmücken, immerhin war er Diplomat im Dienst des engen Verbündeten Österreich-Ungarn. So bekam er eine Einladung zu einem sehr vornehmen Ball in Bonn. Ein elegantes Fest sollte es werden, nur Damen und Herren der besten Gesellschaft, mit ausgewählten Speisen und Getränken und handverlesenem Personal. Als Höhepunkt kurz vor Mitternacht würde ein Guglhuf glacé nach original Elsässer Rezept gereicht werden.

Mit Sophie als seiner Begleitung taten sich viele dieser Herrschaften noch schwer. Es ging ihnen nicht in den Kopf, dass Sophie – aus dem einfachen Bürgertum stammend, eine Demokratin, die einige Zeit im Exil gelebt hatte – eine so gute Partie gemacht hatte und nun mit ihren Ehemann und einem Diplomatenpass die elegante Welt sah. Hätte ein Graf wie er nicht eine viel bessere Partie machen können? Dazu die Tochter, die Winzerin sein wollte anstatt auf eine gute Partie zu warten!

.. und Kastengeist

Und warum hatten sie Jakob, einem vormaligen Diener, das „Limbach-Stübchen“ übertragen? Graf Andras Csabany hatte schnell gemerkt, dass viele Leute Sophie ihr Glück nicht gönnten, Jakob schon gar nicht, und er war empört. Diese erstarrten Konventionen, die oft genug falsche Fassaden ehrten, und dieser Kastengeist waren ihm unerträglich. „Mehr scheinen als sein“, sagte seine Frau Sophie oft. Und nun hatten sie auch noch Besuch von ihren Verwandten aus den USA, einem ehemaligen Revolutionär, einem Demokraten! Wo doch der Kaiser das Parlament für eine Schwatzbude hielt!

Als ritterlicher Ungar hätte Graf Andras diese Herrschaften am liebsten verdroschen. Als Diplomat hatte er andere, subtilere Weg. Gerne würde er zusagen, ließ er ausrichten, doch wollte er die Verwandten seiner Frau nicht vernachlässigen. Man beeilte sich, ihm zu versichern, dass auch Mr. und Mrs. Lorenz Bergmann willkommen wären.

Eine merkwürdige Feier

Am Abend des Empfangs, im festlich geschmückten Ballsaal des ersten Hauses am Platz, ließen es sich elegant gekleidete Herrschaften gut gehen. Die Guglhupfs, alter Adel, die von Zasters, neureicher Adel, und Stina Stinkzahn, die gefürchtetste Klatschbase weit und breit, die nun so tat, als hätte sie Sophie schon immer gemocht.

Sophie trug eine elegante, tiefblaue Robe; Annelie eine ebenfalls elegante, doch schlichtere dunkelgraue Robe. Man dinierte, trank, rauchte und tanzte. Jeder bewunderte die deliziösen Speisen, die exquisiten Roben und die Gewähltheit des Personals. Dann ging es auf Mitternacht zu. Annelie, die bis vor kurzem mit ihrem Gatten Lorenz und Graf Csabany getanzt hatte, verabschiedete sich kurz, um sich zu erfrischen. Doch stattdessen verschwand sie schnell in der Küche. Derweil trug ein Sänger gerade vor.

Der Guglhupf

Um Mitternacht wurde der Guglhuf angeschnitten und bumm – die Rosinen aus dem Guglhupf flogen den Gästen um die Ohren und hinterließen hässliche Flecken auf den Galaroben. Viele Damen, der Ohnmacht nahe, versuchten ihre Roben zu retten. Viele Herren mühten sich, die Gemahlinnen zu beruhigen. Wieder andere Herren waren so genervt von den Dramen der Damen, dass sie sich lieber an den kostbaren Zigarren des Gastgebers gütlich taten.

Annelie aber lächelte still vor sich hin. Sie hatte sich nämlich nicht erfrischt und die Nase gepudert, sondern ganz schnell einen großen Küchenkittel und eine Küchenhaube übergezogen, sich in die Küche geschlichen und die Rosinen für den Guglhupf mit Knallpulver getränkt. Niemand im Saal hätte bei der liebreizenden älteren Dame eine solche Durchtriebenheit vermutet. Fast unmerklich lächelte sie Sophie zu – es war ja für einen guten Zweck.

Heimliche Freude

Das Missgeschick bei den Guglhupfs freute insgeheim die von Zasters, denn die Guglhupfs hatten die „neureichen“ Zasters doch eher nur toleriert. Nun würden sie nichts mehr dagegen haben, dass ihr Sohn Sigismund Ferdinand die Guglhupf-Göre Euphoebia heiratete. Neues Geld zu altem Adel, das passte doch. Schon steckten die Familienoberhäupter die Köpfe zusammen. Stina Stinkzahn tuschelte schon mit einigen Damen, dass es doch gar nicht so schade um die ruinierten Kleider wäre, sie hätten ihren Trägerinnen ohnehin nicht geschmeichelt.

Sophie lächelte ebenso unmerklich zurück. Gleich würden sie sich auf Französisch verabschieden – nein, das war nicht ihre Welt.

Lottie und Matthias

Bald darauf feierten alle zusammen Lotties und Matthias‘ Hochzeit. Lotties Eltern und Bergmanns hatten sich etwas ganz besonders für die beiden ausgedacht. Für ein Jahr würden Lottie und Matthias nach Amerika gehen, und sich dort auf dem „Mountain Men“ Weingut der amerikanischen Bergmanns zu vervollkommnen. „Annelie und ich werden Euch dann in New York abholen“ verkündete Lorenz überglücklich.

Sophie und Andras waren zufrieden. Ihre geliebte Tochter Lottie würde ihren Weg machen können, und sie war glücklich, umgeben von Menschen, die ihnen beiden ihr Glück gönnten. Wen kümmerten da die Klatschbasen ..

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