Rheindampfer „Aimée“

Rheindampfer Aimée, Königswinter
Rheindampfer Aimée, Königswinter

[Rheinprovinz, 1894] Seit vielen war Sophies Bruder Hans Kapitän auf einem Rheindampfer. Unter seinen Freunden war Kapitän Boule-Piquelot, der mit seinem Ausflugsdampfer „Aimée“ Touren vom Elsass nach Köln anbot.

Ausflugsverkehr

Inzwischen fuhren auf dem Rhein vor allem kleine und große Ausflugsdampfer, denn mit dem Bau von immer mehr Eisenbahnstrecken am Rhein entlang verlagerte sich der Personen- und Gütertransport immer mehr auf die Schiene.

Ein anderes Leben als das auf seinem Dampfer konnte sich Hans nicht vorstellen. Seine Welt war der Rhein, er war ihn rheinaufwärts bis an die Schweizer Grenze und rheinabwärts bei Rotterdam gefahren, und kannte jeden Anleger, jede Untiefe und jede Klippe. Oft begleitete ihn sein Vater Jean, der ehemalige Kapitän, denn auch er war nicht glücklich, wenn er nicht regelmäßig den Fahrtwind in seinen grauen Haaren spürte. Mit vielen anderen Kapitänen war Hans befreundet. Nun ging er auf die sechzig zu und konnte sich nicht vorstellen, auf Dauer an Land zu gehen und dort ein Leben als Rentner im Lehnstuhl zu führen.

Weine vom Rhein und dem Elsass

Unter Jeans und Hans‘ Freunden war auch Kapitän Boule-Piquelot, ein alter Rheinkapitän aus dem Elsass. Wenn sie sich auf dem Rhein trafen, winkten sie sich zu, von Rhein-Kapitän zu Rhein-Kapitän. Mit seinem kleinen Ausflugsdampfer, der „Aimée“, bot Kapitän Boule-Piquelot Touren vom Elsass bis hinauf nach Köln an.

Nicht, dass er den großen Linien Konkurrenz machen wollte oder konnte – er bot Weintouren an. Mit seinen Gästen besuchte er Weinorte auf beiden Seiten des Rheins, dort genossen sie eine Weinprobe und ein schönes Abendessen, und dann ging die Fahrt weiter. Auch an Bord der „Aimée“ gab es leckeres Essen. Nichts abgehobenes, einfache Küche mit guten Zutaten, liebevoll zubereitet.

So war Kapitän Boule-Piquelot mit dem Weingut Bergmann ins Geschäft gekommen. Auch hier gab es Weinproben, und er hatte sich mit allen angefreundet. Überhaupt hatten Bergmanns den Kontakt zu ihren elsässischen Winzerkollegen nie abreißen lassen. „Wir leben beide, Rheinländer und Elsässer, in Regionen, auf die unsere großen Nachbarn seit jeher ein Auge geworfen haben“, sagte er oft, „das verbindet, da müssen wir zusammenhalten.“

Traurige Nachrichten

An diesem Tag des Jahres 1894 sah Hans die „Aimée“ herannahen und anlegen. Schnell lief er zum Rheinufer, voller Freude auf ein Wiedersehen. Doch Kapitän Boule-Piquelot kam nicht. Dafür ging ein junger Mann mit ernster Miene von Bord und trat auf ihn zu. „Sie müssen Hans sein, nicht?“, fragte er. Hans nickte, und er fühlte wie seine Brust eng wurde. „Kapitän Boule-Piquelot ist vor kurzem verstorben“, sagte der junge Mann, „er schickt mich zu Ihnen, denn er hat Ihrer Familie die Hälfte der ‚Aimée‘ vermacht. Aber bitte lesen Sie selbst.“ „Kommen Sie“, sagte Hans, und bat den jungen Mann ins „Stübchen“.

Schon bald trafen auch die Bergmanns und Lottie ein. Mit zittrigen Händen öffnete Hans den Brief, dann las er vor. „Meine lieben Freunde, ich habe die Zeit mit Euch so genossen. Was haben wir zusammen geschafft, geschmaust und gelacht, während andere von Erbfeindschaft redeten. Wenn Ihr diesen Brief lest, dann weile ich nicht mehr unter Euch. Ich wäre glücklich, wenn Ihr unsere Tradition weiterführt, und wenn mein geliebtes Schiff weiter dazu beiträgt, Freude an beiden Ufern des Rheins zu verbreiten. Die beiliegenden Dokumente belegen die Übertragung einer Hälfte der ‚Aimée‘ an Euch, die andere Hälfte geht an Etienne, der Euch diese Nachricht überbringt.“

„Dann war Kapitän Boule-Piquelot Ihr Großvater, nicht?“, fragte Hans, „er hat nie über seine Familie geredet.“ „Nicht wirklich“ sagte der junge Mann, „aber im Herzen schon. Ich bin ein uneheliches Kind der Kriegsjahre 1870/71, und er hat mich damals zu sich genommen. Ohne ihn hätte ich mein Kapitänspatent nie geschafft. Jetzt würde ich sehr gerne sein Erbe antreten und die ‚Aimée‘ fahren, aber allein schaffe ich das nicht.“

„Sie müssen es ja nicht gleich entscheiden“, sagte noch, „überlegen Sie in Ruhe. Ich muss daheim auch noch einiges regeln, und beim nächsten Mal sehen wir weiter.“

Die „Aimée“

In den nächsten Tagen ging die „Aimée“ Hans nicht mehr aus dem Kopf. Sie war schon ein feines Schiff. Und der junge Kapitän Etienne schien ein sehr fähiger junger Mann; ihm würde er gerne alle seine Kenntnisse weitergeben.

Auch Susan Bergmann dachte oft über das Angebot nach. Sie kannte alle Siebengebirgsweine, die meisten Winzerkollegen am Rhein, und bei Veranstaltungen auf dem Weingut kümmerte sie sich nun um die Speisen. Und so sagte sie, als die Familie wieder zusammenkam: „Ich würde gerne während der Saison auf die ‚Aimée‘ gehen und den gastronomischen Betrieb übernehmen.“ Ihre Eltern horchten auf, waren aber nicht überrascht. „Du hast das Geschäft von der Pike auf gelernt“, sagte ihr Vater Emil, „eine bessere Wahl als Dich gäbe es gar nicht.“ „Und Du bist eine gute Köchin und eine noch bessere Bäckerin“, ergänzte Anni. Susan schaute sie liebevoll an. Die alte Dame hatte ihr nach und nach ihr ganzes Wissen aus vielen Jahren im „Stübchen“ weitergegeben. Dann wandte sich Susan an Lottie und Matthias. „Immer vorausgesetzt, Ihr beide übernehmt das Weingut, sonst schaffen wir das nicht.“ „Aber klar“, sagte Matthias, „zusammen werden wir das schon schaffen!“

Hans strahlte. „Gut“, sagte er, „dann lass‘ uns die nächste Tage sehen, dass wir auch die nötige Papiere kriegen.“ Dann hob er sein Glas: „Auf Susan, auf die Bergmann-Weine, auf die ‚Aimée‘ und ihren Kapitän!“ Und im Stillen fügte er noch hinzu: „und auf das glückliche Geschick, dass mir ein Rentnerdasein im Lehnstuhl erspart!“

Als Etienne dann wieder anlegte, wurde er schon erwartet, und sah in strahlende Gesichter.

Jungfernfahrt

Die Jungfernfahrt der „Aimée“ unter ihrem neuen Kapitän war ein großer Tag. Familie und Freunde wollten unbedingt dabei sein, und auch Csabanys waren angereist. Hans und Etienne hatten die „Aimée“ gründlich überholt, Susan hatte sich mit allem rund um den Bordbetrieb vertraut gemacht, und nun waren sie unterwegs, rheinaufwärts bis nach Straßburg, und dann zurück. Etienne stand auf der Brücke und wusste, dass er sich voll und ganz auf seinen Steuermann Hans verlassen konnte. Der strahlte aus jedem Knopfloch.

Susan reichte ihren Gästen eine Köstlichkeit. „Guglhupf glacé“, erklärte sie, „hab‘ ich in Straßburg gelernt.“ „Du magst Kapitän Etienne, nicht?“ frage Lottie mit einem schelmischen Grinsen.

Glückliche Monate gingen ins Land. Susan mochte Kapitän Etienne wirklich, sehr sogar. Die beiden heirateten schließlich und bekamen eine kleine Tochter, Marie. Das war ein auf beiden Seiten des Rheins beliebter Vorname.

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