Spannungen in Europa

Im Südosten Österreich-Ungarns
Im Südosten Österreich-Ungarns

[Europa, um 1912] Viele Menschen glaubten mit ihrem Kaiser Wilhelm, dass es für das Deutsche Reich immer weiter aufwärts gehen würde. Doch die Spannungen und Konflikte in Europa konnte man nicht übersehen.

International war das Deutsche Reich fast isoliert, nur Österreich-Ungarn war als Bündnispartner geblieben. Doch die Donaumonarchie hatte eine Menge Probleme.

Hort der Völker oder Völkerkerker? Österreich-Ungarn annektiert Bosnien

In Wien herrschte Kaiser Franz Joseph seit über 60 Jahren über einen Vielvölkerstaat. Da waren die Deutsch-Österreicher und die Ungarn, Rumänen, Tschechen, Slowenen, Slowaken, Ruthenen, Bulgaren, Albaner, Türken, Italiener, Friauler, Ladiner, Rätoromanen, Polen, Serben, Kroaten und Bosnier.

Im Oktober 1908 hatte der Kaiser die Wirren der jungtürkischen Revolution im Osmanischen Reich genutzt und Bosnien-Herzegowina annektiert. Das war ein einseitiger Rechtsakt gewesen, und internationaler Protest folgte sofort. Es kam zum Bruch zwischen Russland und Österreich-Ungarn, und einige Wochen lang bestand akute Kriegsgefahr. Das Deutsche Reich hatte sich hinter Österreich-Ungarn gestellt. Dass dies Russland und Großbritannien brüskierte, nahm man in der Berliner Wilhelmstraße in Kauf.

Doch die Annexion von Bosnien-Herzegowina von 1908 brachte Österreich-Ungarn mehr Nachteile als Vorteile. Der Kaiser hatte eine bitterarme Gegend annektiert, in der überwiegend Südslawen lebten. Viele Slawen in der Donaumonarchie fühlten sich unterdrückt, viele Deutsch-Österreicher hingegen klagten über eine weitere Slawisierung. klagten. Der Wirtschaftsboykott des Osmanischen Reiches traf die Donaumonarchie; die Mobilisierung der Armeen kostete viel Geld.

Zweite Marokkokrise

1911 waren Deutschland und Frankreich in Marokko wieder aneinander geraten. Auslöser für die Eskalation war die Besetzung der Festungen Fes und Rabat durch französische Truppen im Frühjahr 1911, durchaus auf Bitte des Frankreich freundlich eingestellten Sultans. Frankreich nutzte daraufhin seine selbstgewählte Rolle als Schutzmacht für die in Marokko lebenden Europäer als Vorwand, um mit Truppen bis tief ins Landesinnere vorzudringen.

Das Deutsche Reich sah seine  ökonomische und politische Position im Land bedroht. Doch Kaiser Wilhelm II. und Reichskanzler von Bethmann-Hollweg wollten keinen Krieg; in der Wilhelmstraße war mansogar bereit, gegen Zugeständnisse im Kongo Frankreich die Vorherrschaft über Marokko zu überlassen. Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, schickte man das deutsche Kanonenboot „Panther“ in den Hafen von Agadir. Die deutsche Öffentlichkeit reagierte positiv, der Alldeutschen Verband und alle wichtigen Tageszeitungen unterstützten den „Panthersprung“ massiv. Dass dabei Kriegsstimmung aufkam, schreckte sie nicht ab.

In der Berliner Wilhelmstraße war man fest überzeugt, dass diese Drohung Frankreich zum Einlenken bringen würde, daher hatte man auf diplomatische Konsultationen mit anderen Mächten verzichtet. Das war eine Fehleinschätzung, denn Großbritannien beanstandete die deutschen Forderungen als maßlos überzogen sowie den eigenen Sicherheitsinteressen zuwiderlaufend, und schlug sich sofort auf die Seite Frankreichs.

Noch einmal fand man einen Kompromiss: In einem am 4. November 1911 in Berlin unterzeichneten Marokko-Kongo-Abkommen verzichtete Deutschland auf seine Ansprüche in Marokko und erhielt dafür einen Teil des französischen Kongo. Doch nach der gewaltigen Drohkulisse war das Ergebnis enttäuschend.

Osmanisches Reich

Viele hatten das Osmanische Reich längst ganz aus Europa drängen wollen, doch keine Großmacht gönnte einer anderen den Machtzuwachs, so hatte man den Status quo erhalten. In den Wirren der Jungtürkischen Revolution 1908 schien die Gelegenheit günstig: Österreich-Ungarn annektierte Bosnien-Herzegowina, Bulgarien erklärte seine Unabhängigkeit, Kreta vereinigte sich mit Griechenland. Im Italienisch-Türkischen Krieg 1911/12 verlor das Osmanische Reich seine nordafrikanische Provinz Tripolis und einige Inseln in der Ägäis an Italien.

Interessenkonflikte auf dem Balkan

Nun war Bulgarien ein selbstregiertes Fürstentum unter der Oberhoheit des Osmanischen Reiches, Serbien und Montenegro sowie Rumänien waren unabhängige Staaten. In jedem dieser Staaten wollten glühende Nationalisten alle Mitglieder ihre Nation in ihrem Staat vereinen. Serbien strebte gar eine Einigung aller slawischen Völker in einem großen serbischen Reich an.

Doch seit Jahrhunderten siedelten die Völker auf dem Balkan bunt durcheinander. Auch die Albaner forderten einen eigenen Staat. Die Großmächte hatten ihre strategischen Interessen in der Region. Russland wollte einen Zugang zum Bosporus, England war dagegen und verteidigte den Status quo. Für das Vielvölkerreich Österreich-Ungarn mit seinen Millionen Südslawen waren diese Bestrebungen Serbiens eine elementare Bedrohung, zudem beanspruchte Rumänien weite Teile Ungarns. Da Serbien mit Russland alliiert war, verschärfte sich auch der Gegensatz zwischen Österreich-Ungarn und Russland. Keine der beiden Mächte dachte daran zurückzustecken.

Balkankriege

1912 gründeten Bulgarien, Serbien, Montenegro und Griechenland den Balkanbund gegen die Ausdehnung Österreich-Ungarns auf dem Balkan – unter russischer Schirmherrschaft, denn der Zar verstand sich und sein Land als „Protektor aller Slawen“ und sann selbst auf Revanche für die Annektion Bosniens und Herzegowinas. Doch in der Annahme, er könnte die Balkanländer steuern, lag er falsch. Ermutigt durch die Erfolge der Italiener, griffen sie das Osmanische Reich an. Nach wenigen Monaten hatten sie die letzten türkischen Besitzungen in Europa überrannt, die Bulgaren standen vor Istanbul. Erst spät und mit viel Mühe gelang es den Großmächten, die Balkanstaaten zu einem Waffenstillstand zu bewegen.

Doch über die Aufteilung der eroberten Gebiete konnte man sich kaum einigen; immer wieder wurde gekämpft. Mit dem Londoner Vertrag vom 30. Mai 1913 verlor das Osmanische Reich den größten Teil seiner europäischen Besitzungen. Österreich-Ungarn und Italien wollten Serbien keinesfalls an der Adria, daher bekamen die Albaner ihren unabhängigen Staat. Den Süden Mazedoniens bekam Griechenland, den Norden überwiegend Serbien. Bulgarien, das die meisten Soldaten gestellt hatte, sah sich übervorteilt. Schon einen Monat nach dem Londoner Friedensschluss griff es Serbien und Griechenland an. Diese konnten sich halten; Rumänien griff die bulgarische Nordgrenze an, und auch das Osmanische Reich zog wieder in den Krieg. Nach wenigen Wochen musste Bulgarien kapitulieren.

Doch es gab keinen Frieden auf dem Balkan. Hunderttausende Muslime aus den gewonnenen Ländern wurden vertrieben, Zehntausende wurden massakriert. Für Angehörige anderer Ethnien und Religionsgemeinschaften gab es kaum Toleranz oder gar Mitgefühl; auf die Guerillakriege folgten oft genug Vertreibung und Totschlag.

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