Ausstellungen und Ausgrabungen

Sterntor Bonn
Sterntor Bonn

[Deutschland, 1913/14] Mit ihren über 70 Jahren war Sophie eine aparte, grauhaarige Dame mit blitzendem Augen, einem wachen Verstand und einem unbändigen Interesse für die Welt um sich herum.

Wieder einmal war sie in ihrer Heimat am Rhein, und staunte, wie groß die Kinder geworden waren. Ihre Enkel Kathi und Walter gingen zur Schule. Die beiden liebten ihr Familiengeschäft, das Weingut Bergmann und Jakobs „Stübchen“. Marie, die Enkelin ihrer besten Freundin Lena Bergmann, ging auf die Höhere Handelsschule in Köln und machte sich sehr gut, und das erfüllte alle mit Stolz und Freude.

Nibelungenhalle

Am Drachenfels wurde seit Januar 1913 wieder gebaut. Hier, wo der Sage nach Jung-Siegfried den Drachen erschlagen hatte, wollte der Berliner Maler Hermann Hendrich eine Nibelungenhalle zu Ehren Richard Wagners errichten lassen. Die wollte er dann mit mit eigenen Bildern aus Wagner-Opern schmücken, und die ganze germanische Götterwelt würde hier vertreten sein. Eigentlich hätte die Nibelungenhalle schon Ende Mai, zum 100. Geburtstag des Meisters, fertig sein sollen.

Sophie sah der Sache mit gemischten Gefühlen entgegen. Nichts gegen die germanische Mythologie, auch nichts gegen Wagner, doch hier schwang noch etwas anderes mit. Ihre Enkelin Kathi hatte ihr einiges über den Maler erzählt. Der hatte einen Bund gegründet, und im Gründungsaufruf war die Rede von der „todkranken deutschen Kunst“, die nur gesunden konnte, wenn „die harte Germanenfaust aus völkischen Empfindungswuchten mythisch-mächtige Walkürenwolken gestaltet.“ Sophie schauderte es. So mochte nicht jeder denken, doch überzogener Nationalismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit waren längst salonfähig geworden. Das hatte der kunstsinnige Ludwig II. von Bayern bestimmt nicht in Wagners Musik gesehen.

Hochzeit der Kaisertochter in Berlin

Vom 22. bis 24. Mai 1913 feierte man in Berlin die Hochzeit der Kaisertochter Victoria Luise. Auch Sophie und Andras Csabany kamen nach Berlin, denn ihr Sohn Joscha tat an der österreichisch-ungarischen Botschaft seinen Dienst. Vergnügt beobachtete Sophie, dass die Hüte wieder etwas kleiner geworden waren. Mit den alten „Wagenrädern“ auf dem Kopf wäre es bei so vielen Menschen auch schwierig geworden, und Strohhüte mit einem Kranz Blumen um die Krone oder einem Band passten auch besser in den Frühling.

Es war eine Liebesheirat, und auch eine politische bedeutsame, denn der Bräutigam Ernst August von Hannover kam aus der Familie der Welfen. Nach der Annektion Hannovers durch Preußen 1866 hatten die Hohenzollern die Welfen entthront, man mochte fast sagen davongejagt. Mit dem einkassierten Vermögen der Welfen hatte Bismarck am Parlament vorbei seine Geschäfte betrieben. Die glanzvolle Hochzeit brachte noch einmal den europäischen Hochadel zusammen. Unter den Gästen waren der russische Zar Nikolaus II. und der englische König Georg V., doch die Familie Habsburg fehlte.

Bei aller Freude war Joscha bedrückt und mühte sich, die mahnende Stimme im Inneren zu unterdrücken. Er wollte seinen Eltern doch nicht die Freude verderben. „Lass‘ nur, Junge“, meinte sein Vater. „Ich bin zu lange in diesem Geschäft. Seit Jahren rüsten die Triple Entente und der Dreibund gegeneinander auf, und für die Entscheidungsträger in den Hauptstädten hat der Erhalt des Friedens keine Priorität mehr. Während die hohen Herrschaften im Schloss schmausen und tanzen, sitzen ihre Generäle längst über Aufmarschplänen. Gnade uns Gott, wenn sie je freie Hand bekommen.“

Rheinische Expressionisten

Sophie liebte die Kunst und mochte auch die Moderne. Die Bonner Ausstellung der Rheinischen Expressionisten, organisiert von August Macke, hatte sie mehrfach besucht. Sie liebte Mackes Bilder mit ihren leuchtenden, harmonischen Farben, ihrer Heiterkeit und Leichtigkeit. In ihnen hatte sie eine Lebensfreude gespürt, von der sie sich immer wieder anstecken ließ. Sie mochte auch Mackes Motive, die Spaziergänger, die Kinder, die Tiere im Zoo .. und die Hutläden. Mackes Wohn- und Atelierhaus in der Bornheimer Straße war Treffpunkt der rheinischen Kunstszene, und nun hatte er die rheinischen Expressionisten zum ersten Mal in einer Ausstellung zusammen gebracht.

August Macke, Franz Marc, Wassily Kandinsky und andere hatten sich zu einer losen Künstlergruppe, dem „Blauen Reiter“ zusammengefunden. Sophie hatte auch ihre Ausstellungen in München gesehen. Macke war Rheinländer, Marc stammte aus dem Süden, sie beide waren eng befreundet mit dem französischen Maler Robert Delauney und hatten ihn zuhause in Paris besucht. Wassily Kandinsky war Russe. „Es ist doch schön, dass die Künstler über Grenzen hinweg Freunde sind“, dachte Sophie. Von Franz Marc gab es 1913 nur ein einziges Bild, es hieß „Die Wölfe (Balkankrieg)“. Auch der Künstler dachte an die vielen Tausend Opfer der Balkankriege.

Jakobs Forschergeist

Nun saß Sophie in Jakobs „Stübchen“ und gönnte sich eine Tasse Kakao. Sie war überglücklich, denn das Haus ihrer Kindheit war immer noch so schön. Auch Jakob liebte seine Arbeit als Kolonialwarenhändler und Kaffeestubenwirt. Splz und glücklich zeigte er auf ein neues Bild an der Wand, das Joscha ihm geschickt hatte. „Haben Sie schon gesehen, Frau Gräfin? So hat er vielleicht ausgesehen, der Brachiosaurus, als er vor Millionen Jahren mit seiner Herde durch Ostafrika zog. Die Forscher vom Berliner Naturkundemuseum haben ihn in Tendaguru gefunden. Über 250 Tonnen an Dinosaurierknochen sollen nach Berlin gebracht werden!“ In der Tat war die Expedition des Berliner Naturkundemuseums über die Maßen erfolgreich gewesen.

Steinbruch bei Oberkassel

Auch das Jahr 1914 ließ sich gut an. Arbeiter entdecken im Februar in einem Steinbruch bei Oberkassel die Knochen eines Mannes, einer Frau und eines Hundes, die vor ungefähr 14.000 Jahren, während der späten Eiszeit gelebt hatten. Jakob war ganz begeistert, besuchte immer wieder die Fundstelle und wartete gespannt auf den wissenschaftlichen Bericht.

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