„Novemberverbrecher“

Fememorde
Fememorde

[Deutschland, 1921/22] Ende August hing eine schwarze Stoffrosette im Fenster des „Stübchens“, daneben eine schwarz-rot-goldene. Am 26. August 1921, war Matthias Erzberger im Schwarzwald erschossen worden.

Novemberverbrecher

Die radikalen Rechten hetzten gegen die Republik und die demokratischen Politiker; von Anfang an wurde ihnen die Niederlage mit ihren bitteren Folgen angelastet. Gezielt verbreiteten ehemalige kaiserliche Generäle die „Dolchstoßlegende“. Das deutsche Heer wäre im Ersten Weltkrieg „im Felde unbesiegt“ geblieben, behaupteten sie, doch die „Novemberverbrecher“, also die Revolutionäre von 1918, hätten ihm den tödlichen „Dolchstoß von hinten“ versetzt.

Hetzkampagne gegen Erzberger

Mehr als jeder andere war Matthias Erzberger ihnen verhasst. Er hatte 1917 die Friedensresolution eingebracht, 1918 den Waffenstillstand unterzeichnet und im Jahr darauf für die Annahme des Versailler Friedensvertrags gestimmt. Überdies hatte er in einer mutigen Rede in der Nationalversammlung mit der OHL abgerechnet.

Inzwischen war Erzberger Reichsfinanzminister, und hatte die Staatsfinanzen völlig zerrüttet vorgefunden. In nur neun Monaten schuf er ein grundlegend neues Steuersystem. Dabei setzte er die Finanzhoheit des Reichs gegenüber den Ländern durch, und kämpfte aus Überzeugung für christlicher Solidarität und ein sozial gerechtes Steuersystem. Deshalb zog er die großen Vermögen heran und erhöhte den Spitzensteuersatz, um die Kriegs- und Revolutionsgewinne in die Reichskasse zu überführen. In der Vergangenheit seien „das Recht auf Eigentum maßlos betont, aber die Grenzen und Pflichten des Eigentums vielfach nicht scharf genug hervorgehoben“ worden. erklärte Erzberger.

Damit machte er sich zusätzliche Feinde aus den besitzenden Kreisen. Der Deutsche-Bank-Repräsentant Karl Helfferich (DNVP) führte eine Hetzkampagne gegen ihn „Fort mit Erzberger“, und warf ihm „unsaubere Vermischung politischer Tätigkeit und eigener Geldinteressen“ vor. Es war schiere Verleumdung, und Erzberger strengte einen Prozess wegen Beleidigung an. Doch Helfferich konnte auf parteiische Richter zählen: Am 12. März 1920 befand das Gericht seine Darstellung als teilweise zutreffend, und verurteilte ihn nur zu einer geringen Geldstrafe. Erzberger war am selben Tag zurückgetreten

Mord und Trauer

Zwei Attentate hatte er überlebt. In der Nacht zum 28. Juni 1919 flog eine Handgranate in sein Arbeitszimmer im Finanzministerium. Am 28. Januar 1920 wurde auf ihn geschossen. Erzberger wurde dabei leicht an der Schulter verletzt, eine zweite Kugel prallte an einem Metallgegenstand in seiner Tasche ab. Der Attentäter wurde nur gering bestraft. Dann, am 26. August 1921, war Matthias Erzberger im Schwarzwald erschossen worden.

Auch Kathi trauerte um den Mann, den sie von klein auf aus Erzählungen kannte. Er war Jakobs Held gewesen. „Erzberger hatte den Mut, unangenehme Wahrheiten auszusprechen und unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Er hat Verantwortung übernommen und dabei im Namen der Republik für Verbrechen gebüßt, die andere begangen haben“, sagte sie. Aber rationale Argumentation hatte es schwer gegenüber den negativen Emotionen, die die Bestimmungen des Versailler Vertrags im besiegten, von einer Wirtschaftskrise geschüttelten Deutschland auslösten. Auch Max trauerte. „Wie Haase, wie Eisner, wie Liebknecht und Luxemburg“, sagte er betroffen, „ich habe Angst, dass er nicht der letzte sein wird.“

Erfüllungspolitik

Rechte Kreise bekämpften die „Erfüllungspolitik“ des Reichskanzlers Wirth auf das schärfste. Dabei war auch Wirth erbost über das geringe Entgegenkommen der Alliierten. Mit seinem ersten Kabinett trat aus er Protest zurück, als die Alliierten Ende Oktober 1921 entschieden, Oberschlesien zu teilen und Ostoberschlesien dem wiedergegründeten Polen anzugliedern. Dabei hatte die Volksabstimmung vom März 1921 eine Mehrheit für den Verbleib bei Preußen beziehungsweise Deutschland ergeben hatte.

Rapallo

Im April 1922 gelang es Wirth und seinem Außenminister Walther Rathenau, mit Sowjetrussland einen Vertrag zu schließen. Beide Staaten verzichteten auf gegenseitige Kriegsentschädigungen und vereinbarten, wieder diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Die junge Weimarer Republik hatte ein Stück politische Handlungsfreiheit gewonnen.

Mord an Rathenau

Doch das milderte den Hass der Rechten nicht. Am 4. Juni 1922 entging Philipp Scheidemann nur knapp einem Blausäure-Attentat.

Kurz darauf, am 24. Juni 1922 wurde Minister Walter Rathenau in Berlin erschossen. Es war ein Schock für das ganze Land, und für einen Moment brachte die Empörung und Trauer die Menschen und auch die Parteien einander näher, landesweit protestierten sie gegen den Terror und für die Republik. Sein Kanzler Joseph Wirth fand im Reichstag deutliche Worte: „Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: Dieser Feind steht rechts!“

Organisation Consul

Die Morde waren das Werk der rechtsradikalen Geheimorganisation Consul, die von dem ehemaligen Korvettenkapitän Hermann Ehrhardt geleitet wurde. „Derselbe Ehrhardt, der mit Kapp und Lüttwitz geputscht hatte“, dachte Max verbittert. „Dafür hat ihn die Reichsregierung danach ins Ruhrgebiet geschickt, eben die Arbeiter zusammenzuschießen, deren Generalstreik sie gerettet hat. Und jetzt hat der verdammte Kerl eine Terrororganisation aufgebaut.“

Endlich griff der Staat durch. Zwei Republikschutzverordnungen (26. und 29. Juni 1922) und ein anschließendes Republikschutzgesetz (21. Juli 1922) verboten neben anderen rechtsradikalen Organisationen auch die Organisation Consul. Rasche Fahndungserfolge legten sie so weit lahm, dass eine Fortsetzung der Provokationsstrategie unterbunden werden konnte.

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