Mobilisierung

Garnisonsstadt Bonn
Garnisonsstadt Bonn

[Rheinprovinz, August 1914] Alle Diplomatie zwischen den Hauptstädten Europas den Juli hindurch war gescheitert. Am 1. August hatte Deutschland Russland, am 3. August Frankreich den Krieg erklärt.

Politiker und Militärs waren überzeugt, dass der Krieg ein zulässiges Mittel zur Durchsetzung berechtigter Ansprüche wäre, und alle verfolgten weit gesteckte Kriegsziele. Die Soldaten wollten für eine gute und gerechte Sache in den Kampf ziehen.

Mobilisierung in Bonn

Zwei Millionen Männer mussten in Deutschland schon zu Beginn in den Krieg. „Mitten im Frieden überfällt uns der Feind“, hatte der Kaiser in seiner Rede erklärt, und zu den Waffen gerufen, „jedes Zögern, jedes Schwanken wäre Verrat am Vaterland.“ Viele folgten seinem Ruf, und meldeten sich freiwillig an die Front. Alle, die Bevölkerung ebenso wie die militärische und politische Führung, gingen von einem Sieg innerhalb weniger Monate aus. Zu Weihnachten wollte man wieder daheim sein. Die Menschen versammelten sich in den Straßen, sie jubelten ihren Soldaten zu, Priester aller Konfessionen segneten sie. Dann fuhren die Soldaten lachend und winkend in Richtung Front. Auf den Bahnwaggons hatte man mit Kreide Sprüche geschrieben wie „Auf nach Paris!“

Auch ganz Bonn war in Aufregung. Bonn war Garnisonsstadt, in der Ermekeilkaserne stand ein Bataillon des 9. Rheinischen Infanterie-Regiments 160, an der Rheindorfer Straße / Ecke Rosental war die Kaserne der Husaren. Unzählige junge Männer stürmten hin und meldeten sich freiwillig. Schon bald war der Andrang so groß, dass man keine weiteren mehr einstellen konnte.

Der Burgfrieden

Menschen, die selbst Kriege erlebt hatte wie Emil Bergmann, teilten die Kriegsbegeisterung nicht. So viele dieser jungen Männer glaubten den Worten des Kaisers, dass man den Feind einmal kräftig „verdreschen“ und dann nachhause kommen konnte. Dabei war die Wirklichkeit viel grausamer, und mit dem modernen Kriegsgerät, den U-Booten, Flugzeugen und dem Giftgas konnte man in wenigen Minuten unzählige Menschen töten. Auch in vielen Arbeiterfamilien und bei der Landbevölkerung war die Stimmung erst und gedrückt, viele Menschen hatten Angst. Doch auch sie würden ihre Soldaten würdig verabschieden, die Tränen unterdrücken und für sie beten.

Auch Lottie empfand nur Beklemmung und Sorge. Erfüllt von tiefer Trauer um den Tod ihrer Mutter Sophie, sah sie Europa auf den Abgrund zusteuern. Bis zuletzt hatte sie gehofft, dass wenigstens die Sozialdemokraten im Reichstag gegen die Kriegskredite stimmen und den Wahnsinn aufhalten würden. Noch im Juli hatte es Friedensdemonstrationen gegeben. Erst als die Politik für viele glaubhaft propagierte, dass Deutschland von Russland, dem vielen verhassten Zarenreich, angegriffen würde, war die Stimmung gekippt. Doch auch die Menschen in England, Frankreich und Russland glaubten fest, dass sie ihr Land gegen seine Feinde verteidigen müssten. Darüber zerbrach auch die internationale Solidarität der Arbeiterbewegung. Der große Pazifist und hochgebildeten Sozialist Jean Jaurès wurde am 31. Juli 1914 ermordet.

Auch die SPD wollte ihr Vaterland nicht im Stich lassen und zeigen, dass sie keine „vaterlandslosen Gesellen“ waren, sondern Verantwortung für es übernahmen. Die Parteien schlossen für die Zeit des Krieges einen „Burgfrieden“. „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“ sagte der Kaiser. Als der Reichstag 1914 über die nötigen Kriegskredite zu entscheiden hatte, stimmten alle Parteien zu, auch die SPD.

Die „Aimée“

Auch Susan, ihre Familie und Hans Limbach waren entsetzt. Bald würde bald alles auf Kriegswirtschaft umgestellt werden, und es war gut möglich, dass auch ihr Schiff für militärische Zwecke konfisziert würde, und wenn es auch nur um die in ihr verbauten kriegswichtigen Materialien ging. Auch in Frankreich galt die Militärdoktrin Offensive à outrance (Offensive bis zum Äußersten). Frankreich würde in Elsass-Lothringen angreifen, und die Deutschen würden es im Elsass und an der Mosel massiv verteidigen.

Aber Kapitän Boule-Piquelot hatte ihnen nicht sein Schiff geschenkt, damit es in einem Krieg eingesetzt würde – weder von den Franzosen, noch von den Deutschen. Hans und Etienne waren sich schnell einig: früh am nächsten Morgen würden sie die „Aimée“ rheinaufwärts Richtung Elsass bringen, und dort in den Dienst des Roten Kreuzes stellen. Susan wollte sie begleiten, doch Etienne bat sie eindringlich, um ihrer Tochter wegen zu bleiben.

Im Morgengrauen winkten Susan und Marie mit bangem Herzen der „Aimée“ nach, dann machten sie sich bedrückt auf den Heimweg. „Wenn uns irgendetwas geschieht, wende Dich an Joscha Csabany, er ist ein feiner Kerl“, hatte ihr Mann beim Abschied gesagt. Als sie auf dem Weingut eintrafen, kam ihnen Lottie entgegen, sie war leichenblass. Der Einberufungsbefehl für ihren Mann Matthias war gekommen.

Abschied von Matthias

Wenige Tage später standen auch Lottie, Kathi und Walter mit anderen Familien aus dem Siebengebirge am Bonner Bahnhof. Zug um Zug fuhr ein, nahm die Soldaten auf und brachte sie an die Front. Bewegt nahmen sie Abschied voneinander. Eine letzte Umarmung für seine Frau und seine Kinder, dann drängte der Schaffner schon zum Aufbruch. Der Zug fuhr los.

Auf dem Bahnsteig winkten sie dem Zug noch lange nach. „Ich glaube, Großmutter Sophie hat es kommen sehen“, sagte Kathi ernst, „sie hat es nie in Worte gefasst, aber schon als wir auf der Kirmes waren, habe ich gespürt, dass etwas ihr große Angst macht.“ Lottie nickte. „Aber Papa wird zurückkommen, das weiß ich ganz bestimmt, wie damals Opa Andras und Onkel Emil Bergmann!“

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