Als Diplomatengattin in Belgien

Brüssel in den 1890ern
Brüssel in den 1890ern

[Belgien, 1880/1890er Jahre] Graf Andras Csabany ging an die österreichisch-ungarische Botschaft in Belgien. So kam Sophie, die als Emigrantenkind in Brüssel aufgewachsen war, als Diplomatengattin zurück.

Zurück nach Brüssel

Für Graf Andras war es eine Anerkennung, und auch Sophie freute sich auf Brüssel, denn hier hatte sie einen Teil ihrer Jugend verbracht hatte. Zugleich fiel es ihr schwer, München Lebewohl zu sagen. Hier hatten sie die ersten glücklichen Jahre als Familie gelebt, sie mochte Bayern, und hier hatte sie ihr Ausbildungs- und Austauschprogramm für Hutmacherinnen aufgebaut.

Aber so weit weg war Brüssel ja nicht, und sie würden in regem Kontakt bleiben mit ihren Freunden. Sophie übergab die Leitung ihres Münchner Lehrbetriebs einer ausgelernten Schülerin, die schon lange ihre rechte Hand war. In Brüssel würde sie einen weiteren Lehrbetrieb aufmachen und neue Kontakte knüpfen.

Eine Tochter namens Sophie

Der langjährige Gesandte Österreich-Ungarns im Königreich Belgien, Bohuslav Graf Chotek von Chotkowa und Wognin, war ein vielfacher Familienvater. Eine seiner Töchter hieße auch Sophie, hatte er bei Graf Csabanys Dienstantritt gesagt, Sophie Chotek von Chotkowa. „Ihre Sophie würde ich gerne kennenlernen, Graf“, sagte er freundlich gesagt.

Der Gesandte erinnerte sich gut an die Verlobungsfeier des Kronprinzen Rudolf am 7. März 1880 im Wintergarten des Schlosses Laeken bei Brüssel mit Prinzessin Stephanie von Belgien. Als Kronprinz war er den Regeln seines Hauses Habsburg verpflichtet, eine katholische Prinzessin aus einem anderen Königshaus zu heiraten. Gefühle oder Wünsche für das eigene Leben mussten da zurückstehen. Doch die Ehe war unglücklich, und nach dem Selbstmord Rudolfs war Stephanie Witwe. Belgien und Österreich-Ungarn brauchten nun glückliche Beziehungen, hatte der Gesandte weiter gesagt, und Graf und Gräfin Csabany seine Unterstützung zugesichert.

Brüsseler Spitzen

Sophie freute sich, die vertrauten Plätze ihrer Jugend wiederzusehen. Ihr alter Schulweg, die Stätten, wo sie mit ihrem Bruder und ihrer belgischen Familie gespielt hatten. Dann die verwinkelten Gassen um die Grand’Place, wo sie an guten Tagen oft gegessen hatten. Nun war sie voller Vorfreude auf dem Weg ins Geschäft von Madame Desdentelles an der Place des Pâquerettes, wo sie als junge Frau so viel gelernt hatte. Sie hatte stets Kontakt gehalten zur alten Madame, und der Spitzenschleier, den sie ihr zum Abschied geschenkt hatte, war ihr einziger Hochzeitsschmuck gewesen.

Nun lebte die alte Madame nicht mehr, doch ihre Nachfolgerin freute sich sehr, Sophie wiederzusehen. Schon bald waren sie sich einig. Im Rahmen von Sophies Ausbildungs- und Austauschprogramm würden sie gemeinsam begabte junge Frauen aus Deutschland, Österreich-Ungarn und Belgien ausbilden. Spitzenkragen für einfache Kleider, Taschentücher mit Spitzenverzierungen wollten sie herstellen, vielleicht sogar auch Blusen, Hochzeitsschleier und Taufkleider. Das Haus Desdentelles würde mit seinen Spitzen Sophies Kollektionen bereichern und so neue Kunden gewinnen.

Graf und Gräfin Csabany, wohlgeachtete Herrschaften

Oft empfingen sie Gäste in ihrem herrlichen, liebevoll gepflegten Stadthaus, wo es recht zwanglos zuging. Dafür gab es Köstlichkeiten aus allen Teilen ihrer Familienwelt. Rheinwein, den ihre Freundin Lena Bergmann anliefern ließ, und Wiener Spezialitäten und Schokolade. Sophie ließ es sich auch als Diplomatengattin nicht nehmen, diese selbst zuzubereiten. In ihrer Brüsseler Werkstatt entstanden große Hüte mit Blütenkränzen und floralen Elementen, inspiriert von der Art Nouveau.

Das war schon ein anderes Leben; Sophie war nicht mehr das Kind einer Emigrantenfamilie, die mehr schlecht als recht über die Runden kam, sondern die Gattin eines Diplomaten, die in finanziell gesicherten Verhältnissen lebte. „Ich wünschte, Ihr könntet uns jetzt sehen, Oma Henriette und Opa Hubert“, sagte sie oft, wenn sie an Hubert Limbachs Grab stand.

Lottie und Joscha gingen in Brüssel zur Schule, wie sie vor vielen Jahren. Später würde Joscha hier studieren, und danach würde ihm der Weg in den diplomatischen Dienst offenstehen. Sophies Glück wäre perfekt gewesen, wenn sie auch Lottie diese Möglichkeit eröffnen könnte, doch so weit war die Zeit noch nicht.

Daher suchten Sophie und Andras andere Wege, auch ihrer Tochter die besten Startmöglichkeiten zu geben. Lottie war glücklich, wenn sie in den Ferien am Rhein mit ihrer Freundin Susan Bergmann und deren Cousin Matthias durch die Weinberge streifen konnte. Da kam sie ganz auf ihre Großmutter Csabany. Auch die elegante Gräfin Katalyn war überglücklich gewesen, als sie nach dem Ausgleich mit Österreich endlich wieder auf ihr Familiengut in Ungarnreisen konnte. Wenn es Lotties Wunsch war, sollte sie alles lernen, was zum Betrieb eines großen Weinguts gehörte. Sie kannte ja jetzt schon jeden Rebstock.

Historismus und Jugendstil

In ihrer Freizeit streifte Sophie gerne durch die Stadt, denn in jenen Tagen gab es soviel zu entdecken. Besonders spannend fand sie die Art Nouveau, den neuen Stil in Architektur und im Kunsthandwerk. Da war endlich ein neuer Stil, der mit dem überkommenen Historismus brach und in die neue Zeit passte: natürlicher, schnörkelloser, mit vielen floralen und organischen Formen. Alles sollte aus einem Guss ein. Die Architekten arbeiteten gerne mit den neuen Materialien Eisen und Glas und suchten sie in neuartiger, überraschender Weise zu verwenden.

Sophie liebte diesen neuen Stil mit seiner Naturverbundenheit und dem floralen Dekor. Aufgewachsen in dem schlicht-eleganten, behaglichen „Stübchen“ waren ihr die typischen schweren Gründerzeit-Möbel, wo fast jede Schranktür mit Giebeln verziert wurde wie eine Rathausfassade, einfach zu viel. Auch durch das Kunsthandwerk wehte ein neuer Wind; man wollte nicht mehr trennen zwischen Hoher Kunst und Gebrauchsgegenständen, alles sollte schön und funktional sein. Ganz besonders freute sie sich auf die Tiffany-Lampen aus Amerika, von denen man jetzt soviel hörte.

Auch in Wien blühte die moderne Kunst um den Maler Gustav Klimt und die Architekten Otto Wagner und Josef Maria Olbrich. Hier sprach man vom „Wiener Secessionsstil“: gerade und zweckmäßige Formen, geometrisch gegliedert, denen ein wenig florales Dekor, Rahmenornamente und überraschende Kombinationen ihren Charme verliehen. Die Wiener Architekten übten vornehme Zurückhaltung, dennoch .. Sophie kicherte. „Na hoffentlich bauen die nicht in Sichtweise des Kaisers“, dachte sie. Seine Majestät Franz I. Joseph konnte mit der modernen Kunst nämlich gar nichts anfangen.

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