Verständigungspolitik

Gustav Stresemann vor dem Völkerbund, Septembern1926
Gustav Stresemann vor dem Völkerbund, September 1926

[Deutschland, 1925] Seit dem 5. Oktober 1925 verfolgte man gespannt die Nachrichten, denn erstmals seit Kriegsende waren die wichtigsten Staatsmänner Europas im Schweizer Locarno zusammengekommen.

Die neue internationale Konstellation ließ hoffen, schließlich hatten die einstigen Kriegsgegner ein gemeinsames Interesse am Wiederaufbau. Den Alliierten lag an einer gesicherten Zahlung der Reparationen, Deutschland wollte Schutz von Sanktionen. Inzwischen war man bereit, die Sorgen der Gegenseite ernst zu nehmen. So kam es zunächst zu einem intensiven Notenwechsel.

Zudem wandten sich die USA wieder Europa zu. Amerikanische Finanzkreise drohten, den Kreditstrom nach Europa zu stoppen, sollte dort keine stabile Ordnung geschaffen werden.

Die Konferenz von Locarno (Oktober 1925)

Dann, im Oktober 1925, trafen sich die führenden Staatsmänner in Locarno. Ein multilateraler Sicherheitspakt sollte verhandelt werden, im besten Fall sogar eine Friedensordnung für Europa. Die Hoffnungen ruhten vor allem auf dem deutschen Außenminister Gustav Stresemann und seinem französischen Amtskollegen Aristide Briand. Beide waren starke Persönlichkeiten, die den Willen zur Verständigung einbrachten. Erstmals nach dem schrecklichen Krieg gab es Anlass zur Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden in Europa.

Trotzdem waren es schwierige Verhandlungen. Schließlich verhalf eine Dampferfahrt auf dem Lago Maggiore dem viel beschworene „Geist von Locarno“ zum Durchbruch. Nun bestimmten nicht mehr die Ankläger den Angeklagten die Bedingungen. Dafür entdeckten die Staatsmänner, dass sie wie vernünftige Menschen zwanglos, gutwillig und mitteilsam miteinander reden konnten, und dass der eine für die Schwierigkeiten des anderen Verständnis aufbringen konnte.

Verhaltener Optimismus

Auch die rheinischen Zeitungen verbreiteten verhaltenen Optimismus. Sicher wäre vermessen, von Frankreich eine vollständige Wendung seiner Politik erwarten, aber wenn es wenigstens Erleichterung für die besetzten Gebiete gäbe! Noch immer bestimmten die Besatzungstruppen das Leben, und die Rheinlandkommission konnte nach eigenem Ermessen Ordonnanzen verfügen. Vielen steckten noch die Angst vor Annexion und der Schrecken der Separatistenzeit in den Gliedern.

Am 16. Oktober kam die Konferenz in Locarno zu einem Ergebnis. Im „Rheinpakt“ verzichteten Frankreich und Belgien auf der einen Seite und Deutschland auf der andern auf eine gewaltsame Änderung ihrer gemeinsamen Grenzen. Das Reich erkannte noch einmal die Abtretung von Elsass-Lothringen und die Entmilitarisierung des Rheinlandes an. Großbritannien und Italien garantierten dafür die deutschen Westgrenzen. Eine erneute Besetzung des Ruhrgebiets, die 1923 das Reich in den Ruin getrieben hatte, war damit ausgeschlossen.

Kein „Ost-Locarno“

Die Polen und Tschechoslowaken hingegen sahen den Locarno-Vertrag mit Sorge um Empörung, denn sie erhielten keine Garantie ihrer Grenzen. Deutschland war nur bereit, auf eine gewaltsame Revision seiner Grenzen zu verzichten, nicht aber auf eine friedliche. Zudem hatte man dem Reich weitgehend erlassen, Polen im Falle eines sowjetischen Angriffs Hilfe zu leisten.

Die Verträge von Locarno, insgesamt sieben, wurden am 1. Dezember 1925 in London unterzeichnet, nachdem die Parlamente zugestimmt hatten. Sie traten am 10. September 1926 mit der Aufnahme von Deutschland in den Völkerbund in Kraft.

Erleichterungen im besetzen Rheinland

Für die Menschen in den besetzten Gebieten entspannte sich der Alltag durchaus. Die fremden Truppen wurden reduziert. Die Kreisdelegierten wurden abgezogen, so kam die kommunale Verwaltung wieder in die eigenen Hände. Bsetzte Wohnungen wurden freigegeben. Die Franzosen würden Bonn räumen, und am 1. Dezember 1925 würde Großbritannien mit der Räumung der Kölner Zone beginnen.

Kölns Oberbürgermeister Konrad Adenauer war sicher hoch erfreut, doch auf Stresemann war er nach wie vor nicht gut zu sprechen. Das „Unstete, das Schwankende“ in Stresemanns Politik behagte ihm gar nicht.

Berliner Vertrag

Am 24. April 1926 in Berlin schloss Stresemann mit der Sowjetunion einen deutsch-sowjetischen Freundschaftsvertrag. Der Handel sollte intensiviert werden, und auch – im Geheimen! – die Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und Roter Armee. Als Außenminister eines Landes in der Mitte Europas wollte Stresemann der Sowjetunion damit signalisieren, dass der Ausgleich von Locarno mit den westlichen Nachbarn durchaus keine Abwendung von der Sowjetunion war. Im Gegenteil, Deutschland sicherte der Sowjetunion zu, im Falle eines Krieges der Sowjetunion gegen einen Drittstaat neutral zu bleiben.

Dies ging gegen Polen, das nach dem Krieg aus deutschen und russischen Gebieten neu gegründet worden war und mit Frankreich ein Defensivbündnis geschlossen hatte. Bei einem polnisch-sowjetischen Krieg hätte Frankreich ihm nur schwer beistehen können, wenn es nicht durch Deutschland marschieren durfte. Deutschland wiederum hoffte, dass der Vertrag den Druck auf Polen verstärken würde. Man wollte die Polen dazu zu bewegen, deutschen Forderungen nach einer Revision der im Versailler Vertrag festgelegten Grenzen entgegenzukommen. Diese Erwartungen sollten sich nicht erfüllen.

Aufnahme in den Völkerbund

Am 8. September 1926 wurde Deutschland in Genf in den Völkerbund aufgenommen. Am 10. Dezember bekamen Stresemann und Briand gemeinsam den Friedensnobelpreis.

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