[Rheinprovinz, Herbst 1918] Trotz aller Gegensätze des Krieges, ein Leid teilten Menschen in allen Ländern und Kontinenten: jeder bangte um die Seinen angesichts einer verheerenden Pandemie.
In ihrem Ausmaß und ihrer Zerstörungskraft übertraf die Spanische Grippe alles Bisherige. Innerhalb von wenigen Monate tötete sie weltweit mehr Menschen als der Krieg, man schätzt 20 bis 50 Millionen.
Truppenbewegungen und Nachrichtensperre
Erstmals aufgetreten war die Grippe unter amerikanischen Soldaten, die mit dem Kriegseintritt der USA nach Europa verlegt wurden. Durch die Truppenbewegungen verbreitete sich die Krankheit rasend schnell, unzählige Soldaten starben. Doch davon durfte der Feind nichts erfahren, daher wurde die Presse in Frankreich, Deutschland und England scharf zensiert. Nur im neutralen Spanien wurde ausführlich über die enorme Zahl der Kranken berichtet, daher bekam die Pandemie ihren Namen: Spanische Grippe.
Eine erste Welle im Frühjahr 1918 war hoch ansteckend, aber schwach. Dann folgte eine zweite Welle im Herbst, lsie forderte innerhalb weniger Monate ähnlich viele Opfer wie die Pest im gesamten 14. Jahrhundert. Eine dritte Welle folgte schließlich Anfang 1919. Nun starben vor allem Menschen zwischen zwanzig und vierzig Jahren.
Die schwere Krankheit führte zu heftigen Ohren- und Augenschmerzen, Gliederschmerzen, Hustenkrämpfe. Atemnot und Delirium. Oft kam eine Lungenentzündung hinzu. Bei vielen Patienten transportierte das Blut nicht genügend Sauerstoff in die Lungen, eine Zyanose trat einund die Haut färbte sich dunkel. Daher hielt man die schwarzen Flecken auf der Haut schon für die Pest. Ärzte und Pfleger wussten, dass diejenigen, deren Füße schwarz angelaufen waren, nicht überleben würden.
In den letzten Oktobertagen wütete die Spanische Grippe ganz verheerend. In den Krankenhäusern und Lazaretten gab es kaum mehr Platz; Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger waren völlig überlastet.
Emil und Lena
In diesen Tagen entschieden sich Emil und Lena Bergmann zu einem radikalen Schritt. „Uns Ältere trifft die Spanische Grippe weniger als die Jüngeren“, sagte Emil. Und so gingen er und Lena ins Lazarett, um Grippekranke zu pflegen. Doch die beiden waren durch lange Arbeit und Entbehrungen entkräftet. Eines Tages auf dem Heimweg fröstelte Lena, sie musste sich hinlegen. Sie bekam Fieber und erkrankte selbst schwer.
Emil saß an ihrem Bett, und in den wenigen Stunden des Abschiedes von seiner geliebten Frau zog ihr ganzes gemeinsames Leben an ihm vorbei. Ihre Jahre als junges Paar in den 1850ern, ihre lebenslange Freundschaft mit Sophie und Andras Csabany, das Jahr auf dem Weingut der amerikanischen Bergmann in Virginia nach dem Bürgerkrieg in den USA, Indian Summer im Shennandoah Valley, dann Bismarcks Krieg, die Geburt ihrer Tochter Susan und ihre zweite Reise nach Amerika zu Lorenz‘ Tochter Amber, die für sie wie eine kleine Schwester war. Susan, die ganz verzückt die kleinen gelben Blümchen rund um den Landgasthof „Merry Dragon“ betrachtete.
„Wir haben unser ganzes Leben zusammen verbracht“, sagte er leise, „warum sollte ich sie denn jetzt alleine gehen lassen?“ Wenig später verstarb auch er.
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