Schicksalsjahre

Starnberger See, Ludwig, Rudolf, Friedrich
Starnberger See, Ludwig, Rudolf, Friedrich

[Deutsches Reich, um 1886] Viele Menschen in Österreich-Ungarn und Deutschland hofften auf ihre Kronprinzen. Beide, Rudolf und Friedrich, galten als liberal und wollten Reformen. Doch sie hatten einen schweren Stand.

Seit einigen Jahren lebten Sophie und Andras Csabany nun in Bayern. Sophies Ausbildungs- und Austauschprogramm genoss hohes Ansehen und lief auch finanziell gut. Unter ihren Schülerinnen waren auch junge Frauen aus nicht-deutschsprachigen Teilen der Donaumonarchie. Von Anfang an hatten Csabanys dazu beitragen wollen, Österreich-Ungarn und Deutschland einander näher zu bringen. Österreich-Ungarn, das waren nicht nur Deutsch-Österreicher und Ungarn, sondern genauso Tschechen, Polen, Ruthenen, Italiener, Südslawen und noch mehr. Allen wollten sie mit einer guten Ausbildung helfen, damit sie gestärkt in ihre Heimat zurückkehren und sich ein gutes Leben aufbauen konnten; eingebunden in den Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn und das befreundete Deutschland.

Schicksale

Viele Menschen in Österreich-Ungarn und Deutschland hofften auf ihre Kronprinzen. Beide, Rudolf und Friedrich, galten als liberal und wollten Reformen. Seit über zwanzig Jahren war Friedrich nun Kronprinz, er und seine Gemahlin Princess Royal Victoria von England verzweifelten fast ob der langen Wartezeit. Rudolf bekannte sich zum Vielvölkerstaat und seinen vielen Muttersprachen, und entwickelte eine Vision von einem geeinten Europa. Aber beide galten in ihren Ländern nicht viel, man hielt sie von den Regierungsgeschäften fern, und beide waren schwer krank.

Ludwig II.

Nach der Reichsgründung war das stolze Königreich Bayern nicht mehr dasselbe. König Ludwig II. zog sich mehr und mehr zurück. Ein „Schattenkönig“ ohne Macht hatte er nicht sein wollen, hatte er einmal geschrieben, doch trotz einiger Sonderrechte für Bayern bestimmten nun König Wilhelm I. und Reichskanzler Otto von Bismarck über ganz Deutschland einschließlich Bayerns. Seine Untertanen sahen ihm kaum noch, er mied die Hauptstadt München, und sein Tagesrhythmus verlagerte sich immer mehr in die Nacht.

Dann waren da seine Schlösserbauten, die Unsummen verschlangen. Es wurde gemutmaßt, der König wäre, wie sein unglücklicher jüngerer Bruder Otto, geisteskrank und unfähig zu regieren. 1886 erklärte ihn seine eigene Regierung für geisteskrank und setzte ihn ab; man verbrachte ihn nach Schloss Berg. Wenige Tage später, es war Pfingsten des Jahres 1886, kam er unter tragischen Umständen im Starnberger See um.

Die Kronprinzen

Einige Tage später zog eine Prozession mit dem Sarg des toten Monarchen durch die Straßen Münchens. Wie viele andere Menschen stand auch Familie Csabany tief betroffen an der Straße. Hinter dem Wagen ritten die Kronprinzen Friedrich von Deutschland und Rudolf von Österreich-Ungarn.

Eine düstere Vorahnung befiel Sophie – so wie die beiden dahin ritten, schienen auch sie dem Tod näher als dem Leben. Ihre Schwiegereltern dachten ähnlich. „Ich setze große Hoffnungen in unseren Kronprinzen“, sagte Gräfin Katalyn Csabany, „er liebt unsere Donaumonarchie in ihrer ganzen Vielfalt, und er möchte sie inmitten Europas neu aufblühen sehen. Auch Friedrich von Preußen möchte Frieden. Aber seit Jahren werden sie beide von den Regierungsgeschäften ferngehalten.“

„Ich hoffe und bete, dass sie gesund auf den Thron kommen und klug regieren“, ergänzte Graf Csabany senior, „und dass wir nicht mehr miterleben müssen, wie Nationalisten und Kriegstreiber die Länder Europas gegeneinander aufhetzen.“ Sophie erschrak. „Wir sind nun schon alt, unsere Zeit wird bald kommen“, sagte der alte Herr behutsam, „Du, Andras, Eure Kinder, Ihr macht uns sehr glücklich. Gebe Gott, dass wir in unseren letzten Jahren nur noch glückliche Großeltern sein dürfen, dann könnten wir uns in Frieden verabschieden.“

Dreikaiserjahr 1888 in Deutschland

Zwei Jahre später verstarb in Berlin Kaiser Wilhelm I. Nach 27 Jahren als Kronprinz erbte nun Friedrich III. den Thron. Doch er war todkrank; Kehlkopfkrebs ließ ihm nur noch wenig Zeit und er konnte den Trauerzug für seinen Vater vom Fenster des Schlosses Charlottenburg Schloss nur stumm grüßen. Schon 99 Tage später verstarb er in seinem geliebten Neuen Palais im Park Sanssouci in Potsdam.

„Welche Tragik“, dachte Graf Andras Csabany. Im Deutschen Krieg hatte Friedrich III. die zweite preußische Armee gegen Österreich-Ungarn geführt, was auch für ihn eine schwere Pflicht gewesen war, denn auf der anderen Seite hatten auch Verwandte und Freunde gestanden. Viele Menschen, nicht nur im Deutschen Reich, hatten auf ihn als einen Mann des Friedens gehofft, der den Ausgleich nach außen und nach innen suchte. Nun folgte im „Dreikaiserjahr“ 1888 de facto der knapp dreißigjährige Enkel Wilhelm II. dem Großvater Wilhelm. Böse Zungen meinten, dass er sich während seiner Besuche in Wien kräftig die Hörner abgestoßen hatte.

Eine Tragödie in Österreich-Ungarn

Es kam noch schlimmer. In Österreich beging Kronprinz Rudolf im Januar 1889 Selbstmord. Genaues wusste man nicht, „Sie werden es jetzt alles vertuschen“, fürchtete Andras, „wenigstens haben Papa und Mama das nicht mehr miterlebt“.

Graf und Gräfin Csabany waren im vergangenen Jahr gestorben, im Frieden und als glückliche Großeltern. Ein ungarischer Cousin Andras‘ würde das Landgut leiten, während Andras und Sophie als Diplomaten Österreich-Ungarn vertraten. Auch Graf Andras hatte große Hoffnungen auf den Kronprinzen gesetzt, hatte es aber wohlweislich für sich behalten, und bis auf Sophie mit keinem darüber gesprochen. „Ja, Österreich-Ungarn ist schon ein Anachronismus“, meinte er, „aber auch ein Stückchen Zukunft. Nichts gegen Patriotismus, aber die Idee ist faszinierend, dass viele Nationen unter einem gemeinsamen Dach leben, voneinander lernen und den Nationalismus überwinden ..“ Sophie nickte. „Aber dazu bedarf es gegenseitigen Respekts, Toleranz, man darf sich nicht überlegen dünken“, sagte sie.

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