Nationalversammlungen

Die Deputation der Nationalversammlung bei Friedrich Wilhelm IV.
Die Deputation der Nationalversammlung bei Friedrich Wilhelm IV.

[Deutschland, 1848/49] Der Einzug der Parlamentarier in die Frankfurter Paulskirche am 18. Mai 1848 war ein großer Tag. Überall wehten schwarz-rot-goldene Flaggen und die Menschen jubelten den Parlamentariern zu.

Die Nationalversammlung stand vor einer gewaltigen Aufgabe, doch sie hatte von Anfang an einen schweren Stand. Die meisten Fürsten, allen voran Preußen und Österreich, dachten nicht daran, sich mit dem Sieg der Revolution abzufinden.

Preußische Nationalversammlung

Seit dem 22. Mai tagten auch die Abgeordneten der Preußischen Nationalversammlung in Berlin, um eine Verfassung für das Königreich Preußen zu erarbeiten.

Wie in der deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche, stellten auch hier die Staatsdiener im die meisten Abgeordneten, unten ihnen Lehrer, Verwaltungs- und Justizbeamte. Doch saßen in der Preußischen Nationalversammlung deutlich mehr Handwerker, Bauern und Vertreter des Mittelstandes als in der Paulskirche. Die eigentliche konservative Rechte um die Brüder von Gerlach, enge Berater der Königs, auch „Hofkamarilla“ genannt, war kaum vertreten. Dafür Liberale um Camphausen und Hansemann, ostpreußische Adelige und westfälische Katholiken, die einen streng konstitutionellen Staat anstrebten. Dann die „Linken“, die Demokraten, die eine republikanische Staatsform wünschten.

Uneinigkeit

Schon früh zeigte sich, dass die Abgeordneten in der Frankfurter Paulkirche und die in der Preußischen Nationalversammlung in vielem uneinig waren. Führende Politiker in Preußen, Regierungschef Camphausen ebenso wie die Demokraten Waldeck und Jacoby, waren zunächst einmal Preußen. Würde “Preußen in Deutschland aufgehen“, wie es viele wollten, müssten sie Kompetenzen abgeben, und zwar an eine Institution des Bundes, ins Leben gerufen von Leuten, die man kaum kannte. Hinzu kam die alte Rivalität zwischen Preußen und Österreich.

Hubert Limbach wollte dennoch mit aller Inbrunst hoffen und mühte sich, die leise mahnende Stimme in seinem Hinterkopf zu ignorieren. Wenn sich die neuen Kräfte weiter untereinander stritten, würde es am Ende nicht gut ausgehen. Er war ein betagter Herr und hatte gesehen, wie die alten Kräfte auf dem Wiener Kongress die alte Ordnung wiederhergestellt hatten; darin war man sich einig gewesen. Dreißig Jahre lang hatten sie Zeitungen und Bücher zensiert und freie Geister unterdrückt. Solche Mächte gaben nicht einfach auf.

Ein Verfassungsentwurf der Liberalen

In Preußen war Ludolf Camphausen mit seinem Kabinett zwischen die Stühle geraten und musste zurücktreten. Das neue Kabinett unter Regierungschef Rudolf von Auerswald, einem ostpreußischen Liberalen, und Finanz- und Handelsminister David Hansemann legte einen Verfassungsentwurf nach belgischem Vorbild vor. In vielem kam er Liberalen und Demokraten entgegenkam, denn er enthielt einen Grundrechtekatalog, Pressefreiheit, Petitionsrecht, Briefgeheimnis und Versammlungsrecht. All dies aber nur eingeschränkt. Das Parlament hatte das Budgetrecht inne, und die Unverletzlichkeit der Abgeordneten war garantiert. Zudem sollten der König, das Militär und die Beamtenschaft ihren Eid auf die Verfassung leisten.

Doch zugleich gab der Verfassungsentwurf dem König eine starke Stellung. Er war Oberbefehlshaber über das Heer, entschied über Krieg und Frieden, er hatte ein absolutes Vetorecht und besetzte die Stellen. König Friedrich Wilhelm IV. hatte den Verfassungsentwurf selbst redigiert und rechnete mit Zustimmung.

Doch die Mehrheit der Abgeordneten wollte nicht nur dem Entwurf des Königs und seiner – wenn auch liberal geprägten – Regierung zustimmen, sondern der Nationalversammlung ein viel grundlegenderes Recht sichern. Ihnen ging es um „Volkssouveränität“, also das Recht der Volksvertreter zur Ausarbeitung eines eigenen Vorschlages. Nach Ansicht der „Linken“ war das Königtum durch die Revolution de jure erloschen und bis zur Vollendung der Verfassung vom Volk nur toleriert.

Volkssouveränität – die Charte Waldeck

Anstatt weiter über den Regierungsentwurf zu beraten, setzte man deshalb einen eigenen Verfassungsausschuss ein. Dieser erarbeitete einen neuen, Entwurf, der nach dem Ausschussvorsitzenden Benedikt Waldeck als „Charte Waldeck“ bekannt geworden ist. Die wesentliche Punkte waren: freiheitliches Presserecht, Habeas-Corpus-Akte, stärkere Kontrollrechte des Parlaments, Einkammersystem; neben Landwehr und Linientruppen eine vom Parlament abhängige Volkswehr vor. Der Adel und der Zusatz „von Gottes Gnaden“ sollten abgeschafft werden.

Spätestens jetzt hatte König Friedrich Wilhelm IV. genug. Die reaktionäre Kamarilla um die Brüder Ernst und Ludwig Gerlach gewann immer mehr Einfluss und drängte ihn zum Kampf gegen die Preußische Nationalversammlung.

Rückschläge

Auch über der Frankfurter Paulskirche zogen dunkle Wolken auf. Militärisch hatte die Deutsche Nationalversammlung nichts zu melden. Als Dänemark mit Preußen in bewaffnete Auseinandersetzungen geriet und preußische Truppen nach Holstein vordrangen, protestierten England und Russland. Am 26. August 1848 schloss Preußen einen Waffenstillstand. Dabei verhandelten die ausländischen Mächte wie selbstverständlich mit dem preußischen König, als gäbe es die Nationalversammlung nicht. Sie konnte den Waffenstillstand schließlich nur noch abnicken. Das empörte viele Menschen, und die „Bonner Zeitung“ erschien einige Tage mit Trauerrand.

Am 18. September kam es in Frankfurt zu einem spontanen, bewaffneten Volksaufstand radikaler Demokraten; dabei kamen zwei konservative Parlamentarier um. Die Nationalversammlung rief preußische, hessische und österreichische Truppen, die den Aufstand niederschlugen. Das machten viele Menschen sehr betroffen. Der Tod der Parlamentarier überschattete die Nationalversammlung, und die Volksvertreter hatten die Truppen der Fürsten gegen das Volk zu Hilfe gerufen. Die Sache der Freiheit und nationalen Souveränität hatte einen schweren Rückschlag erlitten.

Kleindeutsch oder großdeutsch?

Die Beratungen der Nationalversammlung zogen sich über Monate hin. Die Mehrheit der Parlamentarier trat für die Monarchie ein, aber sollte es ein Erbkaisertum eines Herrscherhauses sein, oder ein Wahlkaisertum? Und wie sollte Österreich einbezogen werden? Die „großdeutsche“ Lösung mit den deutschsprachigen Ländern Österreichs hätte die Habsburger Donaumonarchie gespalten. Die „kleindeutsche“ Lösung mit Preußen an der Spitze war nur ohne Österreich denkbar, denn der österreichische Kaiser hätte sich wohl kaum dem preußischen König untergeordnet.

Die alten Kräfte machen ernst

Während die Parlamentarier noch diskutierten, wurde schon wieder gekämpft. Die alten Mächte hatten sich nur vorübergehend dem Druck gebeugt.

Wien

In Wien schlugen Regierungstruppen die Revolution gewaltsam nieder. Der demokratische Abgeordnete Robert Blum, von der Nationalversammlung nach Wien geschickt, geriet in Straßenkämpfe. Dabei wurde er festgenommen und erschossen. Ein Antrag der preußischen Nationalversammlung, den Revolutionären in Wien zu helfen, scheiterte. Während die Linke weiterhin glaubte, das Heft des Handelns in der Hand zu haben, war die liberale Rechte aus Sorge um „Ruhe und Ordnung“ bereit, sich mit König und Militär zu arrangieren.

Preußen

Nach dem Sieg der Gegenrevolution in Österreich machten auch die alten Kräfte in Preußen ernst. Am 9. November 1848 verfügte die Regierung die Ausweisung der Preußischen Nationalversammlung nach Brandenburg an der Havel, am 5. Dezember 1848 wurde sie durch königliche Order aufgelöst; das Militär räumte den Sitzungssaal.

Die neue Regierung verhängte den Belagerungszustand und das Kriegsrecht, löste die Bürgerwehr auf, verbot alle Parteien und schränkte die Presse- und Versammlungsfreiheit ein.

In ihrer letzten Sitzung rief die Preußische Nationalversammlung zu einer allgemeinen Steuerverweigerung auf. Solange die Regierung nicht ungestört in Berlin ihre Beratungen fortsetzen könnte, so argumentierten sie, war sie nicht berechtigt, über Staatsgelder zu verfügen und Steuern zu erheben. Doch der Aufruf hatte nur wenig Erfolg, das mussten auch Kinkel und Schurz in Bonn einsehen. Die starke preußische Militärpräsenz tat ein Übriges.

Die „oktroyierte“ Verfassung

Und doch konnte nicht alles weitergehen wie bisher. Im Dezember 1848 verfügte der König von oben, er „oktroyierte“ eine Verfassung. Grundlegende Artikel des alten Entuwrfs wurden übernommen, so die Grundrechte und das allgemeine und gleiche Wahlrecht. Doch der neue Regierungsentwurf stärkte die Stellung des Königs: er erhielt das Recht, Notverordnungen zu erlassen und ein absolutes Vetorecht. Selbstredend wurde auch das „Gottesgnadentum“ wiederhergestellt.

Anfang Februar 1849 sollte die Zweite Kammer, die Abgeordnetenkammer des neuen Preußischen Landtags gewählt werden.

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