[Rheinprovinz, 1925] Im besetzen Rheinland wollte man die tausendjährige Zugehörigkeit des Rheinlandes zum Deutschen, damals noch Ostfränkischen Reich ehren. Kathi und Max bekamen die Tochter Charlotte.
Hindenburg leistete seinen Eid auf die Verfassung. Viele waren überrascht, wie korrekt er sein Amt ausübte, fassten wie Außenminister Stresemann nach großer Skepsis langsam Vertrauen. Andere aus der rechten Szene wie Admiral von Tirpitz waren enttäuscht, denn Hindenburg ging nicht auf einen scharf antirepublikanischen Kurs. Und doch war es eine Verschiebung nach rechts, denn er wollte die DNVP in der Regierung sehen.
Charlotte Schmieder
Im Mai 1925 bekamen Max und Kathi eine gesunde kleine Tochter. Sie nannten sie Charlotte, ein Name, der wie der ihres großen Bruder Robert auf deutsch, englisch und französisch gleichermaßen gut klang. Außerdem hatte der Name Tradition in der Familie. Es war eine Bonner Modistin namens Madame Charlotte gewesen, die vor nunmehr fast 100 Jahren Oma Limbach richtig ins Geschäft brachte, und später auch die Mentorin von Kathis geliebter Großmutter Sophie gewesen war.
Ein politisches Jubiläumsdatum
Walter auf dem Weingut hatte alle Hände voll zu tun. Immer wieder fuhren Autos vor, luden Weinkisten auf und fuhren wieder ab. Endlich brummte das Geschäft wieder. Große Festlichkeiten standen an: Überall im Rheinland wollte man „Jahrtausendfeiern“ veranstalten und damit die tausendjährige Zugehörigkeit des Rheinlandes zum Deutschen, damals noch Ostfränkischen Reich ehren. Die Feierlichkeiten dauerten vom Mai bis zum Herbst.
Freilich fiel dieses Datum auch Geschichtsinteressierten nicht sofort ins Auge. Vor tausend Jahren, 925, hatte die Region zum mittelalterlichen Herzogtum Lothringen gehört, auf das sowohl die Herrscher des Westfränkischen wie die des Ostfränkischen Reiches Anspruch erhoben. Im Ostfränkischen Reich regierte damals Heinrich I., der erste sächsischer Herrscher. Ihm gelang es, den aufmüpfigen lothringischen Herzog zu besiegen und dessen Herzogtum mit dem Rheinland seinem Reich einzuverleiben. Aus dem Ostfränkischen Reich bildete sich ganz allmählich Deutschland, während das westfränkische Reich viele Jahre später Frankreich wurde. „Es ist ein politisches Datum“ dachte Walter, „man will nationale deutscher Gesinnung zeigen in einer Region, die von den Franzosen besetzt ist.“
Köln versus Aachen versus Koblenz
Kölns Oberbürgermeister Konrad Adenauer hatte sich die Idee gleich auf die Fahnen geschrieben, und selbstverständlich sollte seine Stadt im Mittelpunkt stehen. Seit Mitte Mai lief eine gewaltige Ausstellung in den 1924 eröffneten Messehallen in Köln-Deutz; sie präsentierte unzählige kostbare Kunstgegenstände.
Walter schmunzelte. Bei der Kölner Ausstellung konnte es natürlich nicht bleiben, dafür kannte er seine rheinischen Landsleute zu gut. Auch Aachen, die alte Krönungsstadt, präsentierte etwa zeitgleich im Rathaus eine hochrangige Ausstellung. Und als Hauptstadt der Rheinprovinz durfte auch Koblenz nicht fehlen. Die preußische Regierung beteiligte sich nicht nur mit einer bedeutenden Summe an den hohen Kosten des Programms, sondern nutzte die Gelegenheit auch für die eigene Öffentlichkeitsarbeit. So konnte man nämlich auch zehn Jahre später die hundertjährige Zugehörigkeit des Rheinlandes zu Preußen würdig begehen.
Misstöne
Dass man nach all den durchgestandenen Schrecken der Besetzung, der Krise an Rhein und Ruhr und der Separatistenputsche mit dem Reich feiern wollte, leuchtete jedem ein. Aber musste es gar so opulent sein, wo doch so viele Menschen Not litten?
Und musste es bei allem Patriotismus gar so konfrontativ sein? Immerhin hatten die Franzosen mit der Unterzeichnung des Dawes-Plans auch die Räumung des Ruhrgebiets angeboten, schon Mitte Juli 1925 würde die Räumung beginnen. Bei den Verhandlungen hatten Reichskanzler Marx und Außenminister Stresemann die Alliierten vom Friedens- und Verständigungswillen Deutschland überzeugt. Warum musste man den guten neuen Weg durch nationalistische Töne stören?
Die französische Militärverwaltung hörte sie. Bei den Feiern in Koblenz wurden alle Veranstaltungen unter freiem Himmel konsequent verboten. Trotz allen Protestes des Oberbürgermeisters fanden am 20. Juni die Jahrtausendfeiern in Koblenz unter völligem Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Walters Fest
Für den 27. Juni 1925 war ein Festzug zum Drachenfels geplant, einen Tag später am 28. Juni ein Waldgottesdienst im Nachtigallental. Auch drum herum gab es zahlreiche kleine und große Feierlichkeiten. Trotz allem unnötigem Pomp und der Misstöne freute sich auch Walter die Festtage. Auch er hatte für den Abend des 28. Juni zu einer Feier mit Essen, Trinken und Tanz auf das Weingut Bergmann geladen. Familie und Freunde würden kommen, dazu zahlreiche Gäste von Kathis Siebengebirgs- und Rheintouren. Wenn, dann eine Feier für alle, so wollte es Walter. Da ging er mit den Linken durchaus einig – Festessen sollten sich nicht verselbständigen.
Auch Joscha und Marie waren aus Amerika angereist. Ihnen ging es freilich nicht um die Jahrtausendfeiern, sondern um die kleine Charlotte, und endlich war auch ihr Töchterchen Amy groß genug für die lange Reise auf dem Schiff. „Oh, es gab keine Probleme“, sagte Marie fröhlich, „man merkt halt schon, dass die Kleine auch Kapitänsblut in den Adern hat“. Ihre Mutter Susan lächelte etwas wehmütig. „Und Ihr habt Sie Amy genannt.“ Das war die englische Version von „Aimée“.
Da war der 1921er Jahrhundertjahrgang genau richtig! Bis tief in die Nacht saß die Familie beisammen. An einem 28. Juni vor 11 Jahren waren die verhängnisvollen Schüsse von Sarajevo gefallen. Vielleicht war es jetzt an der Zeit, auf die Zukunft anzustoßen. „Auf uns“, sagte Walter, „auf bessere Zeiten für uns alle, und damit meine ich genauso die Csabany-Verwandtschaft in Ungarn und die Mountain Men in Amerika. Mögen für sie alle wieder bessere Zeiten kommen!“
Prohibition
Für die Weinbauern in den USA war die Prohibition existenzbedrohend. Auch das Weingut der amerikanischen Bergmanns, der „Mountain Men“, musste um sein Weiterbestehen kämpfen. „Es gibt ein paar gesetzlich geregelten Ausnahmen zum Weintrinken, die weidlich ausgenützt werden“, erzählte Marie, „zum Beispiel bei religiöse Zeremonien, und da ist der Bedarf an Messwein ganz plötzlich ungemein angestiegen.“ Da musste sie doch kichern, denn auch im katholisch geprägten Rheinland wussten die Priester guten Messwein zu schätzen. „Umgerechnet 750 Liter für seinen persönlichen Bedarf pro Jahr darf man schon haben bzw. für den Hausgebrauch herstellen. Das sind 100 Flaschen.
Sonntags laden sie die Leute aus der Umgebung ein, das organisieren sie zusammen mit sozial engagierten Kirchenvertretern. Dann gibt es ein bescheidenes Mal für alle, und dazu halt etwas Wein, auch zum mitnehmen. Weiß Gott nie so viel, dass man darüber seinen Verstand versaufen könnte, und Jugendliche und Kinder kriegen immer Traubensaft. Besser so, als dass mancher in irgendeiner Kaschemme das Familiengeld verjuxt und sich mit billigem Zeug vergiftet.“
„Das Alkoholverbot ist immerhin der 18. Zusatzartikel zur Verfassung“, ergänzte Joscha, „aber getrunken wird natürlich, und wie. Die Behörden kriegen den Schwarzmarkt nicht in den Griff, sie können kaum jede Grenze, jeden Fluss oder See und jedes Speakeasy überwachen.“ „Speakeasy?“ „Ach so, das sind illegale Kneipen oder Clubs, in denen man Alkohol bekommt. Deren Zahl explodiert fast. Natürlich kriegt man da kein ordentliches Bier und schon gar keinen guter Wein, sondern ziemlich viel gepanschtes Zeug, hochprozentigen Fuse. Je länger die Prohibition andauert, umso widerlicher wird es, sogar giftig – Holzgeist, Methylalkohol, Ihr wisst schon.“
Ein lukratives Geschäft für Gangster
Dann wurde Joscha ernst. „Schlimmer noch, der Betrieb dieser illegalen Kneipen und überhaupt der Alkohol-Schwarzmarkt wird vorwiegend von Gangsterbanden kontrolliert. Das ist ein ungeheuer lukratives Geschäft und die organisierte Kriminalität explodiert. Politikern, Polizisten und gerichtlichen Zeugen werden bestochen oder eingeschüchtert, Banden liefern sich am helllichten Tage Schießereien um Absatzmärkte.“
In der Tat war der zweifelhafte Ruhm von Gangstern wie Al Capone und Dutch Schultz bis über den Atlantik gedrungen. „Vor allem die amerikanische Unterwelt profitiert von der Prohibition“, fuhr Josch fort. „Die Leute sind es immer mehr leid, und ich hoffe sehr, dass das bald zum Umdenken führt. Aber nichts desto trotz hoffen wir, dass es weiter aufwärts geht, damit Ihr mich endlich mal drüben besuchen kommt, auch Chiara und ihre Familie würden Euch so gerne wiedersehen!“
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