Inflation

Schlange vor einem Lebensmittelgeschäft, Berlin 1923
Schlange vor einem Lebensmittelgeschäft, Berlin 1923

[Rheinprovinz, Spätsommer 1923] Tag um Tag, Woche um Woche ging ins Land. Der passive Widerstand forderte große Opfer. Aber nichts deutete auf ein Einlenken Frankreichs oder ein Eingreifen der Alliierten hin.

Schlange stehen für ein paar Lebensmittel

Kathi wusste bald nicht mehr, wo ihr der Kopf stand. Die Menschen drängten sich in ihrem kleinen „Stübchen“, und bis auf den Gehweg hinaus standen sie Schlange. Sie alle hofften, hier ein paar Kartoffeln, Milch, etwas Gemüse, ein Glas Apfelkompott oder einen Laib Brot günstig zu bekommen.

Längst wussten viele Menschen nicht mehr, wie sie sich und ihre Familien über die Runden bringen sollten. Weil sie den Besatzern passiven Widerstand leisteten, hatten sie keine Arbeit und kein Einkommen mehr, so waren sie auf die Unterstützung durch das Reich angewiesen. Doch reichte bald vorne und hinten nicht mehr, denn das Geld verfiel immer mehr.

Schon lange mit dem Rücken zur Wand

Schon seit Jahren stand Deutschland auch wirtschaftlich mit dem Rücken zu Wand und kämpfte gegen eine Inflation an. Durch den Krieg und die Kriegsanleihen in Millionenhöhe war das Reich hochverschuldet. Damit die Regierung ihren Verpflichtungen nachkommen konnte, hatte sie neue Banknoten drucken lassen und in Umlauf gegeben, obwohl sie nicht ausreichend gedeckt waren. Schon kauften gewiefte Geschäftsleute Sachwerte auf Kredit, so erwarben sie bald ein Vermögen und konnten die Kredite mit dem entwertetem Geld leicht tilgen. Ab Juni 1921 schwand das Vertrauen in die Mark immer mehr. Mitte des Jahres 1922 kam es zu einer Kreditkrise und einem Mangel an Zahlungsmitteln; deshalb gaben Kommunen oder Unternehmen gaben „Notgeld“ aus.

Der Wert der Mark sinkt ins Bodenlose

Doch die Unterstützung für das Ruhrgebiet und die besetzten Gebieten verschlang Unsummen, die die krisengeschüttelte Republik nicht aufbringen konnte. Die Reichsregierung wusste sich schließlich nur noch mit der Ausgabe neuen Geldes zu helfen. Auch Länder, Städte und sogar Firmen geben Geld heraus. Je mehr Geld aber in Umlauf kam, desto mehr verlor es an Wert, und die Preise stiegen schließlich an einem einzigen Tag mehrfach an. Der Wert der Mark sank ins Bodenlose, die Wirtschaft brach fast zusammen, und die Inflation vernichtete das wenige, was vielen Menschen nach dem Krieg geblieben war. Mancherorts kam es zu Hungerkrawallen, Plünderungen und Streiks,und Arbeitslose demonstrierten gegen Not und Elend.

Ohne das Geld aus dem Familienbesitz der Csabanys hätte auch Kathi ihr „Stübchen“ nicht weiterführen können. Immer wieder dankte sie ihrem Onkel Joscha Csabany für seine vorausschauende Finanzplanung. Bei den ersten Anzeichen der Krise hatte er nur noch Mindestbestände auf den deutschen Konten gelassen und möglichst viel in Schweizer Franken angelegt.

Als Kathi am Abend endlich wieder zuhause war, sank sie in einen Sessel und konnte die Tränen nicht zurückhalten. Diese schreckliche Inflation hatte aus so vielen arbeitsamen und fröhlichen Menschen Bettler gemacht. Spekulanten und Kriegsgewinnler hingegen stellten ihren Reichtum zur Schau.

Bedeutungszuwachs für die Separatisten

Und schon rührten sich wieder die Separatisten. Im Juli hatten sich verschiedene Gruppierungen zur „Vereinigten Rheinischen Bewegung“ vereinigt, im August war dann auch der 1919 in Wiesbaden gescheiterte Dr. Hans Adam Dorten hinzugestoßen. Den Vorsitz führte Franz Josef Matthes, ein Journalist aus Aschaffenburg, der nach einer Beleidigungsklage ins französisch besetzte Wiesbaden geflohen war. Ihr Ziel war die Loslösung des Rheinlands von Preußen, hin zu einer Rheinischen Republik unter dem Protektorat Frankreichs.

Aufgabe des passiven Widerstandes

Am 12. August demissionierte Reichskanzler Cuno, einen Tag später ernannte Reichspräsident Ebert Gustav Stresemann von der DVP zum Kanzler und Außenminister. Er führte eine Koalition aus DVP, Zentrum, DDP und SPD.

Stresemann stand vor gewaltigen Problemen. Die Wirtschaft lag darnieder, Tausende waren durch die Besatzungsbehörden ausgewiesen worden und lebten seit Monaten fern von ihrer Heimat und von ihren Familien. Die Unterstützung für die besetzten Gebiete hatte man nur durch zusätzliches Geld aufbringen können. Ihm war klar, dass Deutschland den passiven Widerstand aufgeben musste, auch wenn es eine sehr unpopuläre Entscheidung war, die ihn größten Anfeindungen aussetzen würde.

Aber im Gegenzug mussten Frankreich und Belgien das Ruhrgebiet räumen, und die Reichseinheit musste gewahrt bleiben. Stresemann hoffte, dass England Einsicht zeigen und Deutschland bei den Reparationszahlungen entgegenkomme würde. Doch dafür musste Deutschland zuvor seine Finanzen in Ordnung bringen. Wie könnte man Verhandlungen über eine Währung führen, die morgens, mittags und abends einen anderen Wert hatte? Schließlich wandten sich auch die Amerikaner wieder Europa zu. Das waren Hoffnungsschimmer, aber man hielt nichts in der Hand.

Und doch war es unverantwortlich, den passiven Widerstand aufrecht zu erhalten. Am 26. September 1923 erklärte Reichskanzler Stresemann den passiven Widerstand für beendet und verhängte den Ausnahmezustand für das ganze Reichsgebiet.

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