Ein schwerer Neuanfang

Stübchen Im Winter
Stübchen Im Winter

[Rheinprovinz, 1920/21] Die junge Weimarer Republik wurde von Anfang an von den Folgen des Ersten Weltkriegs überschattet. Ihr wurde der verlorene Krieg und alle bitteren Folgen angelastet.

Der „Schmachfrieden“ von Versailles, die Besatzung, die hohen Reparationsleistungen.

Zurück in ein normales Leben

Im besetzten Rheinland taten die Menschen ihr Möglichstes, nach Krieg und Niederlage ihr Leben neu aufzubauen. Max hatte eine Arbeitsstelle als Eisenbahningenieur gefunden, und nach all dem durchgestanden Schrecken freute er sich, dass er sich nun ganz auf den Eisenbahnbetrieb rund um Bonn konzentrieren konnte. Kathi machte ihre Ausbildung als Winzerin auf dem heimischen Weingut.

Auch im „Stübchen“ war immer Betrieb. Manchmal beobachtete Jakob die beiden Damen Susan und Helene, und dann lächelte er. Sie waren eine glückliche Mischung aus Herzensgüte, Tatkraft und Geschäftssinn. In der Nähstube auf der linken Seite vom Flur entstanden unter Helenes kundigen Händen kleine Kunstwerke aus fast nichts. Im rechten Zimmer war der Gastraum mit den Tischen und Stühlen, den Regalen und der Ladentheke. Die Regale waren meistens leer, die Tische und Stühle für die Gäste waren klapprig geworden, und die Vorhänge an den Fenstern zerschlissen. Aber die Tradition wehte immer noch in diesen Räumen. Seit jeher hatte man hier Kaffee, Tee und Kakao ausgeschenkt und Essen günstig angeboten. Unzählige Kinder hatten hier eine Mahlzeit bekommen, als sie bei ihm Schularbeiten gemacht hatten. und dabei immer wieder ganz fasziniert auf den großen Dinosaurier oben im Regal geschaut hatten.

Das „Stübchen“ geht weiter

Ja, die Tradition dieses Häuschens ging weiter – auch wenn er einmal nicht mehr da sein würde. Und so war der hochbetagte Jakob mehr als glücklich, dass Susan bleiben und seine Nachfolge im „Stübchen“ antreten wollte. Gleich machte er sich daran, neue Wege zu finden, wo er Kakao und Kaffee zu fairen Bedingungen beziehen konnte. Zum Glück hatte ihn schon der verstorbene Graf Andras Csabany finanziell großzügig ausgestattet, und sein Sohn Joscha hielt es genauso. Max und Walter gaben sich dran, die Möbel so gut es ging zu reparieren, und Helene nähte neue Vorhänge – so gut das mit alten Versatzstücken eben ging. „Neureich flickenlos kann jeder“, sagte sie, „aber wer hat schon so viel Charme und Tradition wie unser Stübchen! Seit 1815, das sind über 100 Jahre!“

Auch Helene würde bleiben, denn Joscha hatte ihr ein verlockendes Angebot gemacht. „Kannst Du Dir vorstellen, hier zu unterrichten?“ hatte er gefragt, und sie hatte nur zu gerne zusagt. Joscha und Lottie waren überglücklich, dass sie das Werk ihrer Mutter Sophie zusammen fortführen konnten.

Armee-Mäntel für die Kleinen

Bald nach ihrer Hochzeit bekam Kathi einen Anruf von Chiara. „Wir haben hier einiges an Ausrüstung und Material, was wir nicht brauchen und daher verkaufen werden. Ihr solltest mal herkommen, und bringt auch die Helene mit.“ Zwei Tage später waren sie in Koblenz. Am vereinbarten Treffpunkt wartete Chiara schon und regelte die Formalitäten. Dann ging es in die Verkaufsräume. „Schaut her, da sind große Töpfe und Schöpfkellen, dazu könnt Ihr noch Konserven haben, und hier ist eine ganze Menge guter Uniformstoff, der hält auch gut warm.“ Helene war begeistert. „Da können wir prima Mäntelchen draus machen.“ Kathi strahlte. „Deal! Die kaufen wir“, sagte sie und umarmte Chiara. „Jetzt wäre Opa Lorenz aber mächtig stolz auf Dich!“

Helenes Mäntelchen aus dem Uniformstoff wurden sehr schön. Schon bald war der Andrang so groß, dass sie froh war um die Unterstützung durch die Mädchen und Frauen, die nacheinander bei ihr das Nähen lernten. Als die Kunde die Runde machte, vorher die Stoffe kamen, mochten auch die Menschen aus der Umgebung nicht nachstehen. Im wahrsten Sinne gut betuchte Mitbürger schenkten dicke Stoffe, in den Bonner Kasernen fanden sich Restbände, und sogar die Karnevalsvereine hatten Stoffe und Litzen beigetragen. „Wenn mer schon nit fiiere künne, solle wenigstens ons Pänz wärme Ohre han“.

Winter 1920

Zum Weihnachtsfest hatten sie Chiara und John wiedergesehen. Auch Chiara war ganz angetan von den Mäntelchen, die Helene aus dem Armeestoff gezaubert hatte. Ein kleiner Lichtblick am Ende eines Jahres voller Gewalt, Putschen und Mordversuchen. Wer wusste schon, was das nächste Jahr bringen würde.

Noch immer verhandelten die Alliierten über die Höhe des Reparationsleistungen, die Deutschland zahlen sollte. „Ihr wisst“, begann Chiara, „die Zerstörungen in Frankreich sind sehr sehr groß.“ „Ja“, sagte Kathi unendlich traurig, „Papa hat uns von Frankreich erzählt, und Onkel Joscha von Belgien. Wir beten, dass wir eines Tages wieder freundlich miteinander umgehen. Doch ich habe auch Angst. Die Rechten verfolgen demokratische, verständigungsbereite Politiker mit tödlichem Hass. Es hat schon zwei Attentate auf Matthias Erzberger gegeben, Gott sei Dank sind sie gescheitert.“

„Hindenburg und Ludendorff behaupten doch glatt, dass die Armee im Felde unbesiegt war“, ergänzte Max, „und dass ihr ein Dolchstoß von hinten versetzt wurde. Nun müssen die Republikaner für Niederlage, Besatzung und die Reparationen büßen. Wenn wir es nicht bald schaffen, unser Land wieder auf die Beine zu kriegen, wird die böse Saat aufgehen.“ Kathi nickte. „Es ist schon komisch, so etwas von fremden Truppen zu sagen“, begann sie, „doch ich hoffe, dass die American Forces in Germany bleiben, bis das Ärgste überwunden ist. Ihr könnt vermitteln, extreme Positionen aufnehmen und eine pragmatische Lösung finden.“

John nickte. „Ich glaube, Major General Allen sieht das ähnlich“, sagte er. „Der General empfindet tiefe Sympathie für Frankreich und versteht dessen Ängste. Deutschland ist schon von der Bevölkerungszahl her ein übermächtiger Nachbar, und der Krieg hat ganze Regionen in Frankreich zerstört und es auch wirtschaftlich zurückgeworfen. Daher will Frankreich Deutschland auf Jahre hinweg niederhalten. Aber das wird nur neuen Hass sähen. Europa kommt nur wieder auf die Beine, wenn am Rhein Frieden herrscht.“

Wilsons Tragik

Doch in den USA hatte sich die politische Lage entscheidend verändert. Die meisten Menschen wollten eine Rückkehr zur Normalität, und vor allem sollten die USA sich nicht mehr in internationale Konflikte verwickeln lassen. Der Versailler Vertrag stieß auf erbitterte Gegner. Diese störte vor allem, dass der Völkerbund das Recht haben sollte, auch ohne Zustimmung des US-Kongresses amerikanische Truppen in internationalen Konflikten einzusetzen. Präsident Wilson wurde von allen Seiten angefeindet. Während einer Kampagne für den Vertrag brach er zusammen, und blieb für den Rest seines Lebens schwer krank.

Bei der Präsidentschaftswahl 1920 wurden seine Demokraten dann abgewählt worden, und damit auch seine Politik. Nun regierte der Republikaner Warren G. Harding, und die Republikaner forderten Isolationismus – Nein zum Völkerbund, nein zu einem internationalen Engagement der USA, Rückzug aus Europa. Der Friedensvertrag von Versailles fand nicht die nötige Zweidrittelmehrheit im Kongress und wurde nicht ratifiziert. Der Völkerbund, Wilsons Herzensprojekt, musste ohne die USA zustande kommen.

Die Mehrheit der Amerikaner bedauert den Rückzug aus Europa nicht. Kaum jemand interessierte sich da noch für das besetzte Rheinland. So schwand auch im U.S. Kongress die Bereitschaft, amerikanische Truppen am Rhein zu halten.

Reparationen: 132 Millionen in Goldmark

Während Frankreich sehr hohe Reparationsforderungen stellte, hielten sich England und die USA noch zurück. Doch das kategorische Nein von Minister Simon 1921 ließ England auf die Seite Frankreichs wechseln. Im Januar 1921 verlangten die Alliierten ultimativ 226 Mia. Goldmark, dazu gewaltige Sachleistungen. Als die Regierung Constantin Fehrenbach ablehnte, besetzten alliierte Truppen kurzzeitig Düsseldorf und Duisburg.

Zudem versuchte die KPD, die Situation für eine erneute Revolution auszunutzen. Die Märzkämpfe erschütterten Mitteldeutschland und Hamburg. Wenig später brach in Oberschlesien ein erneuter Aufstand aus.

Am 5. Mai 1921 setzten die Alliierten auf ihrer Londoner Konferenz die Kriegsschuld Deutschlands auf 132 Milliarden Goldmark fest. Der Zahlungsplan traf, zusammen mit einem sechstägigen Ultimatum der Alliierten, am 6. Mai 1921 in Berlin ein. Verweigerte Deutschland, drohte die Besetzung des Ruhrgebiets. Das amtierende Kabinett Fehrenbach verweigerte die Annahme und trat zurück.

Das nachfolgende Kabinett Joseph Wirth (Zentrum) sah keinen anderen Weg, als die Forderungen zu erfüllen und auf die Einsicht der Alliierten zu hoffen, dass Deutschland diese hohen Zahlungen nicht leisten könnte, und dass die Reparationsforderungen revidiert werden müssten. Am 11. Mai 1921 stimmte der Reichstag mit 220 Ja- gegen 172 Nein-Stimmen zu. Am 31. August 1921 zahlte Deutschland die erste Milliarde Goldmark.

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