[Rheinprovinz, 1851] Nach dem Scheitern der Revolution waren Demokraten in großer Gefahr, viele waren geflohen. Als auch Huberts Familie verleumdet wurde, ging er zu den Verwandten seiner Frau Henriette nach Brüssel.
Nach der blutigen Niederschlagung der Badischen Revolution waren alle Hoffnungen auf demokratische Freiheiten erst einmal erstickt; unzählige Menschen waren ins Ausland gegangen. Demokraten mussten mit Hausdurchsuchungen, Bespitzelung, Beschlagnahmung, ja sogar mit Polizeischikanen und Verhaftung rechnen
Hermann Bergmann, Lorenz Vater, und Hubert saßen zusammen. Seit Lorenz‘ Flucht waren die beiden Familien noch enger zusammengerückt. Hermann wusste, dass Lorenz sicher in Amerika angekommen war, doch litten alle unter der erzwungenen Trennung. „Wie soll es jetzt nur weitergehen?“ fragte Hubert, doch er hatte keine Antwort.
Alle Zugeständnisse fallen weg
In den Staaten des Deutschen Bundes festigten die Fürsten ihre Macht. Mehr noch, aus den Revolutionsjahren hatten sie gelernt, schon den Anfängen zu wehren. Im Königreich Preußen wurde 1850 die „oktroyierte Verfassung“ von 1848 geändert; nun fielen alle Zugeständnisse an die Liberalen weg. Die Bundesversammlung vom 23. August 1851 hob für alle Bundesstaaten die Grundrechte auf und ging daran, alle der Revolution gemachten Zugeständnisse zurückzudrehen. Da ging es um den Eid der Armee auf die Verfassung anstatt auf den Monarchen, das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht, das umfassende Budgetrecht der Parlamente, Vereins- und Versammlungsfreiheit und natürlich die Pressefreiheit. Nun wurde die Presse streng zensiert, Versammlungen und grundsätzlich alle politischen Vereine wurden verboten.
Ausgehend von Berlin entstand eine politische (geheime) Polizei, die ohne formale Rechtsgrundlage in „völlig form- und geräuschlose Weise“ mit den Polizeibehörden Preußens, Österreichs und nach und nach den meisten anderen Bundesstaaten zusammenarbeitete. Dieser „kurzen Dienstweg“ erleichterte die Fahndung und Kommunikation über Grenzen hinweg.
Kinkel im Zuchthaus
Der beliebte und hochgeachtete Professor Gottfried Kinkel saß nun auf Lebenszeit im Zuchthaus Spandau und wurde behandelt wie ein Schwerverbrecher. Kahlgeschoren, in Zuchthauskleidung musste er von früh bis spät schwere oder geisttötende Arbeiten verrichten und würde bestraft werden, wenn er sein Soll nicht erfüllte. Viele Rheinländer waren empört; doch alle Ersuchen um Hafterleichterungen seiner Frau Johanna und seiner Freunde halfen nicht.
Schon Ende April 1850 hatte man den Teilnehmern am Marsch zum Siegburger Zeughaus den Prozess gemacht. Kinkel war unter schweren Sicherheitsvorkehrungen von Naugard in Pommern herangebracht worden. Am Ende der Beweisaufnahme verlangte der öffentliche Ankläger die Todesstrafe. Kinkel, ein begnadeter Redner, hatte in eindringlichen Worten über seine Beweggründe gesprochen und alle bewegt, sogar das Gericht und die Gendarmen. Die Geschworenen erkannten auf „nicht schuldig“, donnernder Jubel erhob sich im Saal, endlich konnte Johanna Kinkel ihrem Mann umarmen. Er war mit dem Leben davongekommen, doch die vom Kriegsgericht in Rastatt verhängte lebenslängliche Strafe blieb bestehen. Kinkel wurde ins Spandauer Zuchthaus gebracht.
Eine spektakuläre Befreiung
Im November 1850 machte dann eine spektakuläre Neuigkeit die Runde: Carl Schurz hatte in einer tollkühnen Aktion seinen Freund Gottfried Kinkel aus dem Gefängnis in Spandau befreit, die beiden waren in London in Sicherheit. Die Aktion hatte er mit Johanna Kinkel und engen Freunden geplant und ins Werk gesetzt, direkt unter den Augen der preußischen Polizei in Bonn und Berlin. Diese Schmach würden sie rächen wollen.
Die Angst der Demokraten
Demokraten lebten in ständiger Angst vor Hausdurchsuchungen, Bespitzelung, ja sogar Polizeischikanen und willkürlicher Verhaftung und Beschlagnahmung. Wenn es bei Hermann und Hubert an der Haustür klopfte, zuckten sie zusammen. Jederzeit konnte es nun passieren, dass fremde Männer vor der Tür standen, eine Marke zückten und erklärten – Herr Soundso? Sie sind verhaftet!
„Nach dem Beschluss des Bundestages“, sagte Hermann mit tonloser Stimme, „sind alle Staaten verpflichtet, durch alle gesetzlichen Mittel die Unterdrückung der Zeitungen und Zeitschriften unter Bestrafung der Schuldigen herbeizuführen, welche atheistische, socialistische oder communistische, oder auf dem Umsturz der Monarchie gerichtete Zwecke verfolgen.“ Damit meinen sie bestimmt auch solche wie wir beide, die die badische Revolution unterstützt haben. Hubert, wenn je herauskommt, dass Ihr Lorenz geholfen habt.“
Doch die ständige Angst und Aufregung setzen Hubert sehr zu. Er schlief kaum mehr, litt an Magenkrämpfen und fing sich ob seiner angegriffenen Gesundheit auch jeden Virus ein. Seine Frau Henriette bat ihn, für eine Weile in ihre belgische Heimat zu gehen, damit er etwas zur Ruhe kam, auch wenn dieser Schritt ihr selbst sehr schwer fiel. Das ganze Leben ihrer Familie wäre betroffen. Doch der Arzt hatte sie alle gewarnt: weitere Aufregung wäre Gift für den älteren Herrn.
Ein schwerer Entschluss
So hatte sie ihre ganze Familie zusammengeholt und ihr Herz ausgeschüttet. „Helene Bergmann würde das Stübchen für die Zeit übernehmen“ schloss sie. Nun saßen sie in bedrückter Stimmung um den Tisch. „Papa, niemanden ist gedient, wenn es mit Deiner Gesundheit weiter bergab geht“, sagte Anni schließlich, „Du und Mama, Ihr solltet noch viele schöne Jahre haben, und nicht in ständige Angst leben müssen.“ Jean hatte die ganze Zeit betroffen geschwiegen. Er mochte und achtete seinen Schwiegervater sehr und es empörte ihn, dass dieser noble Mann, der seine ganze Kraft dem Staat und seinen Menschen gewidmet hatte, nun am Ende seines Lebens fortgehen sollte. Exil – niemand hatte das Wort ausgesprochen, doch das war es, auch wenn Hubert in der Familie seiner belgischen Frau Henriette hochwillkommen war.
Doch auch Jean sah den Dingen ins Auge. Tausende waren ins Ausland gegangen, und wer hier blieb, musste sich vor der Geheimpolizei in Acht nehmen und konnte kaum mehr frei atmen. Sogar die Kindergärten waren verboten worden, weil sie die freie Entwicklung der Kinder förderten. Dafür unterstützte die Obrigkeit die Kirchen, die zu Bescheidenheit und vor allem Gehorsam erzog. So sagte er: „Ich bin derselben Meinung. Und ich bitte ich Euch, auch Anni, Hans und Sophie mitzunehmen, damit die Kinder dort in Brüssel zur Schule gehen.“ Als er die entsetzten Mienen seiner Kinder und seiner Frau sah, fügte er schnell hinzu: „Ihr seht doch, was hier geschieht. Ich liebe Euch über alles, und ich möchte, dass Ihr freie, selbstverantwortliche Menschen werdet.
Abschied vom „Stübchen“
Damit war die Entscheidung gefallen. Hubert und Henriette, Anni und die Kinder würden, zumindest für eine Weile, zu Henriettes Familie nach Brüssel ziehen. Jean würde hierbleiben, immerhin hielt seine Königlich Preußische Dampfschiffahrtsgesellschaft zu ihm.
Doch der Abschied war schwer. Als Hubert die Tür hinter sich zumachte, kam es ihm so vor, als würde er die Tür zu einem ganzen Leben zumachen, in das er vielleicht nicht mehr zurückkehren würde. Matthieu, Huberts Schwager, war selbst gekommen, um sie abzuholen und sicher bis nach Brüssel zu bringen. „Es ist ja nicht für immer“, hatte Jean seiner Familie versichert, „und wir werden uns oft sehen.“ Da machte er sich selber Mut, und an die kommenden Jahre ohne seine Familie mochte er gar nicht denken.
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