Das Ende der Donaumonarchie

Kaiser Karl I. von Österreich-Ungarn
Kaiser Karl I. von Österreich-Ungarn

[Ungarn, November 1918] Schon in den letzten Kriegstagen hatten sich die Tschechen, Galizier, Polen, Slowenen und Kroaten von Österreich-Ungarn losgesagt. In Siebenbürgen hatte Rumänien die Macht die übernommen.

Die ungarische Regierung hatte zum 31. Oktober 1918 die Realunion mit Österreich aufgekündigt. Am 3. November unterzeichnete Österreich-Ungarn in der Villa Giusti in Padua den Waffenstillstand.

Kaiser Karls Völkermanifest kommt zu spät

Es war abzusehen gewesen. Seit dem Einknicken Kaiser Karls vor Kaiser Wilhelm II. war Österreich-Ungarn de facto keine Großmacht mehr, und für dieses Österreich-Ungarn würde sich keiner mehr stark machen. „Den Völkern Österreich-Ungarns, deren Platz unter den Nationen wir geschützt und gesichert zu sehen wünschen, sollte die freieste Gelegenheit zu autonomer Entwicklung zugestanden werden“, hieß es in Wilsons 14 Punkten. Darauf lief nun alles hinaus. Kaiser Karls Ankündigung vom 16. Oktober, Österreich in einen Bundesstaat nationaler Einzelstaaten umzuwandeln, kam zu spät.

Österreich-Ungarn gibt es nicht mehr

Gleich nach dem Abschluss des Waffenstillstands waren Matthias und Lottie nach Budapest gereist. Joscha hatte sie abgeholt und zum Familiengut der Csabanys gebracht.

Nun stand Lottie endlich am Grab ihres Vaters Andras. „Papa würde nicht wollen, dass wir lange an seinem Grab stehen und weinen“, sagte Joscha schließlich, „er war so stolz auf Dich. Seine Augen leuchteten, wenn er eine Flasche von Eurem Weingut aufmachte, und er trank mit viel Genuss.“ Auf einmal waren sie wieder die beiden Csabany-Kinder, Österreich-Ungarn ebenso verbunden wie Deutschland. Die Aufgabe einer Diplomatenfamilie sei es, Menschen und ihre Länder zu verbinden, so kannten sie es von klein auf. Nun waren ihre Eltern beide tot, und ihr Österreich-Ungarn gab es nicht mehr.

Die gemeinsamen Minister waren im Lauf des Novembers 1918 zurückgetreten, Kaiser Karl I. hatte schließlich die Krone niedergelegt, am 11. November in Österreich und am 13. November in Ungarn. Am 12. November wurde die demokratische Republik ausgerufen, die als Bestandteil der Deutschen Republik bezeichnet wurde. Erster Staatskanzler wurde der Sozialdemokrat Karl Renner.

Für viele Menschen im übrig gebliebenen, deutschsprachigen Rest-Österreich war das eine verheerende Entwicklung, denn sie hielten dieses „Rumpfland“ kaum für überlebensfähig. Deshalb wollten sie sich Deutschland anschließen. „In den nächsten Wochen wird es einige Abstimmungen der Außenminister dazu geben“ meinte Joscha, „Deutschland macht wohl mit.“

Tiefe Spuren

Lottie spürte, welch tiefe Spuren der Krieg, die Niederlage und der Zerfall Österreich-Ungarns bei ihrem Bruder hinterlassen hatten. Auch sie liebte Österreich, Ungarn und all die Menschen und Ländern, die sich mit ihren Eltern Sophie und Andras Csabany kennengelernt hatte. Doch mit ihrem Mann Matthias und ihren Kindern Kathi und Walter hatte sie nun am Rhein feste Wurzeln geschlagen. Joscha aber wirkte fast verloren. Seiner Herkunft nach war er Österreicher, Ungarn und Deutscher, und als k.u.k.-Diplomat hatte er alle Länder der Donaumonarchie vertreten. Als junger Diplomat hatte er viele Jahre in Belgien verbracht, doch das schien nun wie aus einem anderen Leben.

Ungarn und die Nicht-Magyaren

„Und Du, was wirst Du machen?“ fragte Lottie. „Ich fürchte, dass schwere Zeiten kommen“, antwortete Joscha. „Für uns beide ist der Krieg noch nicht vorbei. Das Rheinland wird von den Alliierten besetzt. In Ungarn rächt sich nun, dass die alte Regierung so wenig tolerant gegen die Nicht-Magyaren war. Die Slowaken, die Kroaten, die Rumänen, sie wollten alle weg von uns. Die Armee Rumäniens besetzt schon zu Ungarn gehörende, aber mehrheitlich rumänisch besiedelte Gebiete. Da kommt noch einiges auf uns zu. Auch wie es politisch weitergeht weiß man nicht – ich denke nicht, dass sich der neue Ministerpräsident lange halten kann, dafür sind die Probleme viel zu groß und die Gräben zu tief. Ich werde erst einmal bleiben und unseren Leuten helfen, den Weg zurück ins Leben zu finden, soweit ich das überhaupt kann. Sie sind durch die Hölle gegangen.“

„Er zögerte eine Weile, dann hellte sich seine Miene doch noch auf. „Aber wir werden auch das überstehen“ , sagte er, „und dann ist es Zeit, an unser eigenes Leben zu denken.“ Nun lächelte auch Lottie. „Du denkst dabei an Marie, nicht?“ Ihr Bruder nickte. „Ja, Marie“, sagte er. „Es ist geplant, dass der österreichische Außenminister sich mit seinem deutschen Amtskollegen Brockdorff-Rantzau Anfang März in Berlin trifft. So wie es aussieht, werde ich auch dabei sein, nur als Reserve, falls doch noch Fragen sind. Immerhin bin ich ja ein k.u.k-Mischwerk mit Wurzeln auch in Deutschland. Und wenn alles gut geht, komme ich danach vorbei.“

Kämpfe in Ungarn

Joscha sollte Recht behalten. Im März 1919 übernahmen die Kommunisten die Macht und errichteten eine Räterepublik. Der Konflikt mit Rumänien eskalierte, es kam zum Krieg, rumänische Truppen stießen bis weit ins Innere Ungarns vor und marschierten Anfang August 1919 in Budapest ein. Die Räterepublik brach zusammen, turbulente Monate folgten.

Schließlich zog der ehemalige k.u.k.-Admiral Horthy am 16. November 1919 mit seinen Truppen in Budapest ein. Von der Nationalversammlung zum Reichsverweser gewählt, führte Horthy am 1. März 1920 die Monarchie formal wieder ein, blieb in der Folge jedoch faktisches Staatsoberhaupt. Ex-Kaiser Karl versuchte von seinem Exil in der Schweiz aus zweimal, die Herrschaft in Ungarn wieder zu übernehmen; beide Male verweigerte Horthy jedoch die Übergabe der Macht.

Kein Anschluss Österreichs an Deutschland

Die Außenminister Deutschlands und Österreichs hatten am 2. März 1919 in Berlin ein Protokoll über den Zusammenschluss ihrer Länder unterzeichnet.

Doch auch die alte Donaumonarchie gehörte zu den Besiegten des Krieges; im Pariser Vorort Saint Germain wurde über einen Friedensvertrag beraten, am 10. September 1919 wurde er unterzeichnet. Und die Alliierten entschieden anders: Südtirol wurde von Italien beschlagnahmt, auch die deutschsprachigen Gebiete in Böhmen und Mähren entfielen und wurden der Tschechoslowakei zugesprochen. Der Zusammenschluss von Deutschösterreich und Deutschland wurde beiden Staaten ausdrücklich untersagt.

Im Vertrag von Trianon musste Ungarn zwei Drittel seines Staatsgebiets an die Tschechoslowakei, Rumänien, den südslawischen Staat und Österreich abtreten. Die Restauration der habsburgischen Monarchie wurde Ungarn im Zuge der Friedensverhandlungen verboten.

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