Bismarcks „Kulturkampf“

Königswinter, Geistlicher hinter Gittern
Königswinter, Geistlicher hinter Gittern

[Rheinprovinz, um 1875]  Seit Jahren tobte ein Kampf zwischen Reichskanzler Bismarck und der katholischen Kirche. Bistümer und Pfarreien waren unbesetzt, katholische Schulen und Orden gab es nicht mehr.

Anni stand in ihrer Küche und schmierte Butterbrote. Ihr Mann Jean, Jakob und die kleine Susan Bergmann, Lenas und Emils Tochter, halfen ihr nach Kräften. Ihr „Stübchen“ war Anlaufstelle für viele, die nicht mehr weiter wussten. Das kannte sie aus ihrer Kindheit. Damals hatte sie ihrer Mutter Henriette geholfen, und ihr Vater Hubert hatte die Brote mit in die Schule genommen.

Inzwischen war die Schulpflicht längst etabliert, aber noch immer litten viele Menschen Not. Die Euphorie der ersten Jahre nach der Reichseinigung war verflogen, dann hatte der Gründerkrach hatte viele Existenzen zerstört. Immer mehr Menschen drängten als Industriearbeiter in die großen Städte, es gab viel Not und Verelendung. Bisher hatte die Kirche geholfen und viel aufgefangen. Doch nun tobte ein Kampf zwischen Reichskanzler Bismarck und der katholischen Kirche. Was die Kirche bislang geleistet hatte, war kaum mehr möglich.

„Der Papst ist unfehlbar!“

Nicht, dass Anni alles gut fand, was der Papst und die hohe Geistlichkeit taten. Ausgerechnet sie, die für eine freie Entfaltung und gute Schulbildung ihrer Kinder gesorgt hatte! Die dogmatische, intolerante Art vieler hoher Kirchenmänner war ihr unerträglich.

Anfang der 1870er Jahre hatte sich der Konflikt zugespitzt. Papst Pius IX. in Rom ächtete alle Weltanschauungen, die mit seinem extrem konservativen Glaubensverständnis nicht einhergingen. Dann hatte das I. Vatikanische Konzil von 1870 die Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubens- und Sittenfragen verkündet. Anni und vielen Gläubigen ging das zu weit. Eine Minderheit unter den Katholiken hatte sich als „Altkatholiken“ zusammengeschlossen. Die Sanktionen der Kirche waren prompt gefolt, u.a. hatte man den altkatholischen Lehrern und Professoren die Lehrbefugnis entzogen.

Im Reichstag hatte das katholische Zentrum verlangt, die kirchliche Freiheit und das „Recht der Kirche an den Schulen“ in der Reichsverfassung zu verankern. Mit anderen Worten: Der Staat sollte die unbotmäßigen altkatholischen Lehrer entlassen. Anni war empört.

Bismarck hatte abgelehnt, denn die Lehrkräfte waren staatliche Beamte und er fürchtete, dass die Autorität des Papstes die des Kaisers untergraben würde. Wohl kein Reichskanzler außer einem damaligen Zentrumspolitiker hätte zulassen können, dass ein Papst derart in staatliche Belange hinein regiert. Bismarck, unterstützt von den Nationalliberalen und auch Altkatholiken, begann seinen „Kulturkampf“ gegen die katholische Kirch.

Kanzelparagraph, Schulaufsichtsgesetz, Jesuitengesetz

Der „Kanzelparagraph“ im Strafgesetzbuch (1871) drohte jedem Geistlichen Gefängnis oder Festungshaft an, „welcher in Ausübung seines Berufes Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise erörterte“. Das Schulaufsichtsgesetz (1872) übertrug das Aufsichtsrecht in den Volksschulen, bisher von Geistlichen ausgeübt, staatlichen Beamten, den Schulräten. In Posen wurde sogar der Gebrauch der polnischen Sprache in Schule und Verwaltung untersagt (1873-1876). Das Jesuitengesetz (1872) verbot den Orden und wies seine Mitglieder aus. 1875 wurde die Zivilehe obligatorisch; erst nach der standesamtlichen Trauung dufte kirchlich geheiratet werden. Im Rheinland galt die Zivilehefreilich schon seit Napoleons Code Civil.

Maigesetze in Preußen

In Preußen galten noch strengere Gesetze als reichswei. Durch die „Maigesetze“ (1873) wurde die Ausbildung und Anstellung von Geistlichen staatlich geregelt. Mit dem „Brotkorbgesetz“ (1875) wurden der Kirche alle staatlichen Zuwendungen entzogen. Mit den Klostergesetzen (1875) wurden alle Klöster außer den krankenpflegerischen in Preußen aufgelöst, und diese Ausnahme hatte man Kaiserin Augusta zu verdanken. Inzwischen waren die Erzbischöfe von Köln, Münster und Trier verhaftet und verbannt, Bistümer und Pfarreien waren unbesetzt, katholische Schulen und Orden gab es nicht mehr. Auch der Oberpleiser Pfarrer hatte das Pastorat verlassen müssen.

Anni ging das zu weit, denn Mitmenschllichkeit und die Sorge um die Armen und Schwachen waren Grundwerte des christlichen Glaubens. Dazu bedurfte es keiner Dogmatiker, weder in Rom noch in Berlin. „Hoffentlich kommt er bald zur Vernunft“ dachte sie. Immerhin wurden Bismarcks letzte Gesetze von vielen, auch reichstreuen Protestanten, als Schikane empfunden.

Bis dahin hieß es Butterbrote schmieren. Entschlossen wickelte Anni die fertige Brote in Papier und legte sie in einen Korb. Gleich würde Lena Bergmann mit dem Wagen kommen, den Korb einladen und überall verteilen. Wie gut, dass die Menschen zusammenhielten.

Ein Kompromiss

Als Bismarck erkannte, dass er diesen Kampf nicht gewinnen konnte, lenkte er schließlich ein. Als 1878 Papst Pius IX. verstarb, handelte er mit dem neuen, moderaten Papst Leo XIII. einen Kompromiss aus. In den folgenden Jahren wurden die meisten Gesetze zurückgenommen.*

* Bestehen blieben bis heute die staatliche Schulaufsicht und die Zivilehe.
Das Jesuitengesetz
galt bis 1917, der Kanzelparagraph bis 1953

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