Kriegsjahr 1916

Grabenkrieg
Grabenkrieg

[Rheinprovinz/Europa, 1916] Von überall her kamen schlimme Nachrichten. Kaum jemand mochte in diesen Tagen noch an einen kurzen Krieg glauben, auch wenn die Kriegspropaganda sich weiter siegessicher gab.

Die Kriegspropaganda zeichnet ein falsches Bild

Seit der Wende an der Marne im September 1914 tobte im Westen ein Stellungskrieg. Millionen Soldaten lagen sich in Schützengräben gegenüber, und mit ungeheurem Einsatz von Menschen und modernsten Waffen – Maschinengewehre, schwere Geschütze, Flugzeuge und Panzer, Flammenwerfer und Giftgas – sollte die Entscheidung erzwungen werden. Der OHL um Generalstabschef von Falkenhayn war bewusst, dass die Zeit gegen sie arbeitete. Zwar konnte das Deutsche Reich noch zwei bis drei Jahre durchhalten, aber Österreich-Ungarn schien mit seiner Kraft bald am Ende.

Längst glaubte Lottie nicht mehr an einen schnellen Sieg. Die Kriegspropaganda gab sich siegessicher und zeichnete ein arg geschöntes, man wollte fast sagen Wunschbild vom Krieg. Die tapferen Männer an der Front, die treusorgende Familie daheim. Natürlich konnte man den Tod längst nicht mehr verschweigen, doch die Karten zeigten den gefallenen Kameraden inmitten seiner Kameraden, ein bekränztes Grab, und die Witwe mit ihren Kindern in schönen weißen Kleidern. Das Grauen zeigten sie nicht. Lottie ahnte, dass die Wirklichkeit draußen an der Front viel, viel schlimmer war. Immer mehr Verlustmeldungen und die vielen Verwundetentransporte sprachen eine andere Sprache.

Verdun

Seit Februar 1916 bestürmten deutschen Soldaten Verdun, das Kernstück der französischen Befestigung. Von den Höhen um Verdun wurden die Stadt und ihre Verteidiger mit einem verheerenden Artilleriefeuer belegt; Falkenhayn setzte auf die überlegene deutsche Artillerie. Verdun würden die Franzosen nie aufgeben, kalkulierte er, sondern immer wieder anrennen, um die Höhen zurückzuerobern. Dabei wollte man ihnen so heftige Verluste zufügen, dass sie „ausbluteten“ und demoralisiert aufgaben. In ihrer Not würden die Franzosen die Briten zu einer Entlastungsoffensive drängen, obwohl deren Truppen gerade erst aufgestellt, kaum ausgebildet und ohne Kampferfahrung waren. Zusätzlich sollte der uneingeschränkte U-Boot-Krieg Großbritannien erheblich schwächen. Tag für Tag tobten mörderische Kämpfe um Verdun.

„Menschenworte können nicht beschreiben, was wir hier sehen“, schrieb Matthias, „niedergebrannte Häuser, Tod und Zerstörung überall. Ganze Dörfer, ganze Regionen sind zerstört. Es sind nur noch Kraterlandschaften. Hier wird auf Jahre nichts mehr wachsen, bis auf Hass, unendlichen Hass.“

Lottie war erschüttert. Was für eine grausige Kalkulation mit dem Leben Hunderttausender Soldaten. Generäle, die aus sicherem Abstand die Kämpfe an der Front betrachteten und hohe Verlustzahlen beim Gegner als Erfolge feierten. Mensch, Tier .. sie alle waren nur noch Material, den modernsten Waffen untergeordnet, das man zu Hunderttausenden losschickte, sich gegenseitig zu vernichten.

Tag für Tag tobten mörderische Kämpfe. Ende Juni waren auf beiden Seiten über 200.000 Soldaten gefallen oder verwundet; unter ihnen der Maler Franz Marc, er fiel am 4. März 1916.

Die Schlacht an der Somme

Um die bei Verdun bedrängten französischen Streitkräfte zu entlasten, begannen die Briten am 24. Juni 1916 eine Offensive an der Somme. Nach einer Woche Trommelfeuer glaubte man die deutschen Stellungen zerstört und verlassen. Am 1. Juli stürmte die britische Infanterie vor. Doch während der Besatzungszeit waren diese zu unterirdischen Festungen ausgebaut worden. Der Sturmangriff der Briten am 1. Juli brach unter dem Feuer der Maschinengewehre zusammen.

Die Schlacht an der Somme entwickelte sich zu einem Abnutzungskrieg. Zeitweise waren vier Millionen Soldaten an den Kämpfen beteiligt. Beim Abbruch der Schlacht im November waren mehr als einer Million Soldaten getötet, vermisst oder verwundet.

Ostfront 1916

Während im Westen die Schlachten um Verdun und an der Somme tobten, griffen im Juni 1916 im Osten die Russen erneut an; auf einer Breite von 300 Kilometern in der Mitte und im Süden der Front an und drangen bis in die Karpaten vor. Hunderttausende Soldaten der Mittelmächte, die meisten von ihnen Österreich-Ungarn, gerieten in Gefangenschaft. Die österreichisch-ungarischen Truppen wurden weit zurückgedrängt; Millionen Menschen flohen. Rumänien trat auf Seiten der Entente in den Krieg ein.

„Unsere Truppen sind mit ihrer Kraft am Ende“, schrieb Joscha. „Wir haben so viele Verletzte hier, doch schon bald müssen diese völlig fertigen Männer zurück an die Front. Draußen üben sie schon den Umgang mit Minenwerfern, Handgranaten oder Gasmasken .. wie harmlos ist da der Umgang mit der Gulaschkanone und dem fahrbaren Backofen! Ich habe es selbst gelernt, es ist ja niemand mehr da, der es macht.

Morgen bringe ich mit unserem Laster wieder Vorräte und Material an die Front. Ich werde wieder einige Tage da bleiben und für die Männer an der Gulaschkanone stehen, wir haben auch kaum noch Feldköche. Manche sind auch einfach froh, wenn sie noch einmal in ihrer Muttersprache mit mir reden können. Gott behüte uns alle.“

Doch auch die russische Armee erlitt verheerende Verluste, hinzu kamen Transportprobleme und Munitionsengpässe. Mit entscheidender Hilfe deutscher Truppen gelang es, einen russischen Durchbruch zu verhindern und Rumänien zu erobern. Österreich-Ungarn musste daraufhin der Einrichtung eines gemeinsamen Oberkommandos unter Kaiser Wilhelm zustimmen, de facto der Unterstellung Generalstabschef Conrad von Hötzendorfs und seine Generäle unter deutsches Kommando.

Angst um Matthias

Seit Wochen hatte Lottie keinen Brief mehr von ihrem Mann Matthias bekommen. Immer mehr Verlustmeldungen kamen, und die Ungewissheit und Sorge waren für sie und ihre Kinder kaum zu ertragen. Oft schlief sie abends vor Erschöpfung ein, und schrak doch mitten in der Nacht wieder hoch. Ende September erhielt Lottie endlich eine Nachricht von Matthias‘ Einheit. Er war an der Somme schwer verwundet worden, aber er lebte, und sobald er transportfähig war, würde man ihn nach Bonn bringen.

Wann immer sie hörte, dass ein Zug Verwundeter in Bonn eintreffen würde, stand Lottie am Bahnhof, inmitten einer Menge Menschen. Voll banger Sorge um einen Angehörigen drängten sich alle an die Bahren der Eingelieferten und redeten auf die Soldaten ein. „Bitte, bitte“, rief ein Soldat mit Stentorstimme, „machen Sie Platz, damit wir die Verletzten ins Lazarett bringen können, so kommen die Träger doch gar nicht durch.“

Die Beethovenhalle als Lazarett

Endlich hatte man Matthias nach Bonn gebracht, und Lottie stand an seinem Bett. Er schlief, und so schaute sie sich ein wenig um. Die Beethovenhalle .. hier hatten sie in glücklichen Tagen schon Musik gehört. Nun war sie in ein großes Kriegslazarett umgewandelt. Reihe an Reihe standen die Betten, Ärzte in weißen Kitteln und Krankenschwestern in grauer Uniform kümmerten sich um die Verwundeten. Es waren nicht nur deutsche Soldaten, sondern auch feindliche, doch bis ihre Wunden verheilt waren, waren sie alle Patienten. Alles war sauber, helles Licht schien durch die Fenster, und bei aller Not hatte man doch auch an ein paar Blumen gedacht.

Endlich öffnete Matthias die Augen. „Der Arzt meint, dass mein Bein recht steif bleiben wird“, sagte er, „ich kann gehen, werde es aber immer ein wenig hinterher ziehen müssen. Eine große Hilfe werde ich nicht mehr sein.“ Lottie brach in Tränen aus. „Du Dummer, Du lebst, das ist alles was zählt! Und ich bin froh, dass Du nicht zurück an die Front musst. Und hier brauchen wir jeden, um die Versorgung aufrecht zu erhalten. Uns steht ein ganz schlimmer Winter bevor.“

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