Droht ein Krieg unter Brüdern?

An der Grenze
An der Grenze

[Rheinprovinz, 1860] Seit langem rivalisierten Österreicher und Preußen  um die Vorherrschaft in Deutschland. Viele Menschen beteten, dass es nie zu einem Krieg kommen würde, wie er sich in den USA gerade anbahnte.

Krinolinen

Sophie stand am dem Fenster des Modegeschäfts „Madame Charlotte“ in Bonn und schaute hinaus. Elegante Damen spazierten durch den Hofgarten. Seit den 1850er Jahren waren die Reifröcke wieder da; nun konnten sich aus einem leichten Stahl angefertigt werden und wurden Krinoline genannt. So wurden sie sogar besonders ausladend, vorne ein wenig flacher und dafür nach hinten weiter. Darunter trug man eine Menge Unterröcke.

Das Geschäft lief wieder gut. Bei den Bonner Damen hatte sich bald herumgesprochen, dass auch Damen aus dem Koblenzer Kreis um Königin Augusta bei Madame Charlotte bestellten. Inzwischen gingen immer mehr elegante Damen dort ein und aus. Einige Kundinnen waren Sophie besonders zugetan. Scheinbar nebenbei erwähnten sie in Gesprächen mit anderen Damen, dass Sophie ihre handwerklichen Fähigkeiten im eleganten Brüssel erlernt hatte und sich sogar mit Spitzen auskannte.

Sophie liebte ihre schönen Spitzen. Doch war ihr wohl bewusst, dass sie ihren Lebensunterhalt mit Dingen verdiente, die ein Vielfaches des Lohnes einfacher Leute kosteten. Deshalb gab es auch bei ihr Spitzenschals und Hüte, die sie aus gebrauchten Materialien mit handwerklichem Können liebevoll herstellte und günstig verkaufte, So wie damals ihre Urgroßmutter Oma Limbach.

Nord- und Südstaaten in Amerika

Gleich würde ihre Freundin Lena kommen und ihr Hütchen abholen. Die beiden jungen Frauen hatten sich auf Anhieb verstanden. Da sah sie schon die rotblonden Haare ihrer Freundin, und kurz darauf stand Lena in der Tür. Der neue Hut stand ihr prächtig. Heute war Lena mit ihrem Mann Emil und ihrem Vater in Bonn, um Wein abzuliefern, und hatte die Gelegenheit genützt, kurz bei Sophie reinzuschauen. Auch Lena betrachtete nun amüsiert die Damen in ihren eleganten Toiletten, die im Hofgarten promenierten.

„Niklas hat uns Bilder gezeichnet“, sagte sie, „drüben in den USA trägt man auch ganz weite Krinolinen, leichte Schals und Spitzenhandschuhe. Southern Belle, Südstaatenschönheit, sagt man in Virginia. Schau mal, hier hat er Rebekka, Heinrichs Frau, gezeichnet, und hier ist Jenny, seine Frau. Sie sind wirklich sehr hübsch, und ganz patente Frauen.“

Beide schauten verzückt auf die Zeichnungen, dann wurden sie doch ernst. „Wir sind sehr besorgt“, sagte Lena, „in seinen Briefen schwingt viel Besorgnis mit. Die Kluft zwischen Nord und Süd vertieft sich dort, manche sprechen davon, sich vom Norden zu lösen.“ Drüben, bei ihren Verwandten in den USA, drohte Krieg. Schlimmer noch, ein Bürgerkrieg, der vielleicht auch ihre amerikanische Familie spalten würde. „Das wäre schrecklich“, meinte Sophie, „Lorenz in Pennsylvania und Heinrich und Niklas in Virginia stünden dann auf verschiedenen Seiten. Gebe Gott, dass es nicht so weit kommen wird.“ Lena nickte.

Preußen und Österreich in Europa

„Ich wünsche mir so sehr, dass sie drüben in Frieden leben können, und dasselbe wünsche ich mir für uns hier – egal, ob wir Preußen, Österreicher oder Ungarn sind.“ Sophie schluckte. Sie war preußische Staatsbürgerin; ihre Liebe, der junge Graf András Csabany, war Österreicher. Seit ihrem Treffen beim Promenadenfest in Koblenz hatten sie sich immer wieder getroffen. Der junge Graf war mit seinen Eltern nach Frankfurt gekommen, dem Sitz des Deutschen Bundes. Sein Vater arbeitete dort an der Gesandtschaft Österreichs, und András studierte noch an der Frankfurter Universität. Später wollte er seinem Vater im diplomatischen Dienst nachfolgen, mit Sophie an seiner Seite.

Auch wenn sich niemand einen Krieg vorstellen konnte, rivalisierten Österreicher und Preußen seit langem um die Vorherrschaft in Deutschland.

König Friedrich Wilhelms Vorstoß

König Friedrich Wilhelm IV. hatte die ihm von der Nationalversammlung angebotene Kaiserkrone abgelehn. Die Reichseinigung hingegen hatte er nicht aufgegeben, im Gegenteil. Unter seiner Führung sollte eine Union der deutschen Staaten entstehen, in der sich die Herrscher aus freiem Willen zusammenschlossen. Um diesen Staat sollte sich dann ein weiterer Bund bilden, auch mit Österreich und seinen nichtdeutschen Ländern.

In Erfurt hatte schon ein „Parlament der deutschen Union“ getagt. Doch Österreich und eine Anzahl anderer Staaten wollten keinen von Preußen dominierten Bund. Als auch Russland dagegen Front macht, musste der Preußenkönig erst einmal klein beigeben. Mit der Olmützer Punktation vom 29. November bestätigte er, dass sich Preußen wieder in den Deutschen Bund einreihen würde.

Doch diese schmerzliche diplomatische Niederlage für Preußen, die „Schmach von Olmütz“, rumorte in den Köpfen machtbewusster Preußen und schürte deren Abneigung gegen Österreich immer weiter. „König Wilhelm I. ist aus tiefstem Herzen König von Preußen und respektiert den habsburgischen Kaiser in Wien“, sagte Sophie leise, „ich kann mir nicht vorstellen, dass er die Waffen gegen Österreich erhebt. Es wäre schrecklich, würden je Preußen und Österreich gegeneinander ziehen. Ich bete, dass es nie dazu kommt.“

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