[Rheinprovinz, 1932/33] Zu Weihnachten 1932 war Joscha endlich wieder bei seiner Familie am Rhein. Kathi und Max haben sich entschlossen, mit ihren Kindern mit ihm nach Amerika zu gehen.
Weihnachten 1932 am Rhein
Marie und den beiden Kinder hatten ihn nur sehr schweren Herzens ziehen lassen, und auch ihm war das Herz schwer. Doch nach allem, was er von Max erfahren hatte, wollte er seine Familie sicher in den USA wissen. Die Erinnerung an den Tod ihrer Vaters Etienne beim Kriegsausbruch 1914 hatte Marie überwältigt. Damals hatte ihre Mutter Susan ihren Mann nicht begleitet, um auf seinen drängenden Wunsch hin bei ihrer Tochter zu bleiben. Nun ließ sie selbst ihren Mann allein an Bord gehen, um bei ihren Kindern zu bleiben. „Wir sind nicht im Krieg“, hatte er sie zu beruhigen versucht, „aber es ist es schlimm genug, was sich da in Deutschland zusammenbraut. Ich will sicher gehen, das für alles Nötige gesorgt ist.“
„Siehst Du es wirklich so düster?“ fragte Lottie. Joscha seufzte. „Ich möchte so gerne daran glauben, dass es hier aufwärts geht, dass Deutschland diese schlimmen Jahre übersteht und ein freies, republikanisches Land bleibt“, sagte er, „selbst die New York Times scheint optimistisch. Der Öffentlichkeit entgehen diese politischen Entwicklungen zunächst. Doch ein Leben im diplomatischen Dienst, da hörst Du das Gras wachsen. All diese Heimlichtuereien waren mir immer zuwider, aber ich denke, es läuft längst schon etwas hinter den Kulissen.“
Machtgier
„Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass der Papen klein bei gibt, dazu ist er viel zu machtgierig“, sagte Max. „Drüben in Amerika habt ihr eine stabile Demokratie, und das seit 150 Jahren. Hier ist die Demokratie kaum verwurzelt, und es scheint alles zusammenzubrechen. Vielleicht wird es gelingen, Hitler und die Nazis von Macht fernzuhalten, sofern man das überhaupt noch will, aber das Regierungssystem wird autoritär bleiben, die parlamentarische Demokratie ist vorbei und leider haben die Parteien das ihre dazu beigetragen, sie zu diskreditieren.“
Wie Max war auch Joscha Csabany der Meinung, dass die alte konservativen Elite Hitler unterschätzten. Immerhin gehörte auch die DNVP, die das Kabinett von Papen stützte, zu den Wahlgewinnern. Sie glaubte ihn für sich einspannen zu können – und vielleicht würde ihr Wille zur Macht ihr jetzt den Blick für die wahren Machtverhältnisse nehmen. Aber mit wem außer den Nationalsozialisten sollte sie regieren?
Dann holte Lottie tief Luft. „Wisst Ihr, Kathi und Max, Ihr lasst uns nicht im Stich, wenn Ihr Chiara und allen auf dem Weingut drüben in Virginia helft“, sagte sie, „Papa, Walter, Susan, Helene und ich kommen schon klar. Es gibt erste Anzeichen, dass sich die Wirtschaft bei uns erholt, die Reparationen wurden uns erlassen, vielleicht geht es wirklich bald wieder aufwärts, wirtschaftlich wenigstens.
Politisch sehe ich es so wie Joscha, und wie auch Ihr es im Inneren wisst. Wenn Papen und Konsorten, ja sogar unser Reichspräsident glauben, dass sie Hitler für sich einspannen können, dann irren sie gewaltig. Die Nationalsozialisten kämpfen nicht unter der schwarz-weiß-roten Fahne, sondern allein unter ihrem blutroten Hakenkreuzbanner. Und wenn sie drankommen, ist es auch mit den Deutschlandnationalen schnell vorbei, dann müssen sie froh sein, wenn sie ungeschoren davonkommen. Die Braunen haben längst eine Liste ihrer Feinde in der Schublade, die sie dann abarbeiten werden, wenn sie dran kommen. Kommunisten, Sozialdemokraten und viele mehr. Und Du, Max, stehst auch auf der Liste.“
Aufbruch in die neue Welt
Es ging auf das Ende der Weihnachtsferien zu, und Joscha bereitete sich auf die Abreise vor. Gerade klappte er den Kofferdeckel zu, als Kathi und Max zu ihm traten, Hand in Hand. „Wir kommen mit Dir“, sagte Kathi leise, aber entschlossen.
An einem Januarmorgen des Jahres 1933 standen Koffer vor dem „Stübchen“. Kathi, Max, Robert und Charlotte brachen auf. Ohne viel Aufsehen, das war ihnen lieber. Die ganze Nacht hindurch hatten sie kein Auge zugetan, denn der Abschied von ihrer Familie, ihren Freunden und ihrer Heimat fiel ihnen sehr schwer. Vielleicht war es ja nicht für ewig, dachten sie. Aber jetzt war es besser. Und es war auch besser, ihre Kinder nicht gleich mit der vollen Wahrheit zu erschrecken. Nur die Hoffnung auf ein neues, sicheres Leben, auf den herzlichen Empfang durch Chiara und ihre Familie machten ihnen Mut.
Betont gefasst verabschiedeten sie sich von Familie und Freunden. Nur Robert wunderte sich, warum Oma Lottie ihn so fest drückte. „Ich bin doch bald wieder hier“, sagte er, „wir bringen doch nur Onkel Joscha nach Bremerhaven.“ Lottie blinzelte und sagte, „Ja natürlich, mein Schatz, sicher bis Du bald wieder hier.“
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