Oma Limbach kehrt heim

Stadtpalais Düsseldorf. Stübchen
Stadtpalais Düsseldorf. Stübchen

[November 1813, Berg] Nach dem Sieg über Napoleon war es mit dem Großherzogtum Berg vorbei; die französischen Amtsträger flohen. Nach vielen Jahren als Näherin in der Residenz Düsseldorf kann „Oma“ Limbach nachhause. 

Anna Antonia „Oma“ Limbach war endlich zuhause, in ihrem kleinen Häuschen am Rhein am Fuß des Siebengebirges. Ein freundlicher Postbeamter hatte sie von Düsseldorf bis hierher in der Kutsche mitgenommen. Nur noch ein paar Schritte und dann war sie schon in der Rheinuferstraße, wo ihr kleines Häuschen stand. Sie war froh, daheim zu sein.

Napoleons Rückzug

Vor wenigen Tagen hatten sich die französischen Beamten bei Nacht und Nebel mit der Staatskasse nach Frankreich abgesetzt, gerade noch rechtzeitig, um nicht dem anrückenden Trupp russischer Kosaken in die Hände zu fallen. Es war die Vorhut der verbündeten Truppen. Vor wenigen Wochen hatten die verbündeten Preußen, Österreicher, Russen und Schweden die Armee Napoleons in einer tagelangen, blutigen Schlacht bei Leipzig geschlagen. Der lange Jahre übermächtige Kaiser der Franzosen musste sich mit seinem Heer über den Rhein zurückziehen; der Rheinbund brach auseinander und die Verbündeten setzen nach, um Paris einzunehmen und ihn abzusetzen.

Oma Limbach seufzte schwer. Napoleons Armee, das waren nicht nur Franzosen, das waren auch Sachsen, Bayern, Württemberger und Männer aus dem Großherzogtum Berg. Sie war eine geborene Bergmann, und auch ihre Neffen Heinrich und Niklas Bergmann waren in Napoleons Heer eingezogen worden und waren mit der Grande Armée nach Russland gezogen. Die ganze Familie hatte mit Mutter Hedi um die beiden gebangt. Der Feldzug war in einer Katastrophe geendet, nur wenige waren zurückgekommen – verletzt, am Ende ihrer Kräfte, traumatisiert. Obwohl es zunehmend zu Protesten gegen die Wehrpflicht kam, hatte auch in Leipzig eine bergische Einheit in französischen Diensten gekämpft. Wie viele Tote sollte es noch geben? Sie betete, dass es bald vorbei sein würde, und dass es dann endlich Frieden geben würde.

Ein bewegtes Leben

Ein bewegtes Leben lag hinter ihr. Sie hatte eine glückliche Kindheit im großen Bergmann-Clan gehabt. Handwerklich hoch begabt, hatte sie schon als junge Frau für das Kloster Heisterbach genäht, und zwar so gut, dass man ihr die Ausbesserung der einfachen Mönchskleidung ebenso übertrug wie feinen Näh- und Stickarbeiten. Damals war Max Franz Kölner Erzbischof gewesen, der jüngsten Sohn Maria Theresias und Bruder Kaiser Josephs II. und der französischen Königin Marie Antoinette. Für ihn hatte sie gerne gearbeitet; als er im Jahre 1784 für ein ländliches Fest auf dem Drachenfels noch Tischwäsche brauchte, hatte sie mit genäht. Auch viele Jahre später erinnerte sie sich gerne an diesen Tag: Der bescheidene, freundliche Erzbischof hatte auch für seine treuen Angestellten einen Tisch aufstellen lassen, man hatte Mozart gespielt und es war ein rundum schöner Tag gewesen.

Dann war die Französische Revolution ausgebrochen; 1794 hatten Truppen des revolutionären Frankreichs die linke Rheinseite besetzt und der Erzbischof hatte fliehen müssen. Nach seiner Niederlage gegen General Bonaparte in Italien 1797 hatte Kaiser Franz I. die Rheingrenze anerkennen müssen. 1801 im Vertrag von Lunéville hatte man es dann festgeschrieben und den Fürsten, die auf der linken Rheinseite Gebiete verloren hatten, Entschädigungen auf der rechten Rheinseite versprochen.

Schon damals war klar, dass dies nur auf Kosten der geistlichen und kleinen Fürstentümer möglich war. 1803 hatte dann ein Ausschuss des Reichstags, die Reichsdepution, entschieden, die geistlichen Fürstentümer zu enteignen und die Klöster aufzuheben. Auch das Kloster Heisterbach war aufgehoben worden. Oma Limbach war untröstlich gewesen, das war sie immer noch, und auch wütend. Die Franzosen waren religionsfeindlich und hatten zahlreiche Kirchen als Pferdeställen genutzt – doch es war die bergische Regierung gewesen, die das Kloster Heisterbach nicht schnell genug zum Verkauf anbieten konnte. Schon bald fand sich ein Käufer und der Abriss hatte begonnen.

Empire-Stil und Glanz

Sie selbst hatte man an den herzoglich bergischen Hof in Düsseldorf geholt. 1806 trat der Herzog Berg an Napoleon ab – das war kein großes Opfer, denn zuvor hatte Napoleon ihn zum König von Bayern erhoben. Das Herzogtum Berg wurde vergrößert und zum Großherzogtum erhoben. Erster Großherzog wurde Napoleons Reitergeneral und Schwager Joachim Murat; ein tollkühner und ehrgeiziger Mann, der prachtvolle Uniformen liebte und repräsentativ Hof halten wollte. Da waren gute Näherinnen gefragt.

Oma Limbach mochte den Empire-Stil, den man seit der Französischen Revolution trug. Die Damen waren in lange, lose fallende Gewänder aus leichten Stoffen gekleidet, die Taille war nach oben gerutscht und man kam ohne Korsett aus. Es hieß, dass auch die preußische Königin Luise diesen „griechischen Stil“ gemocht hatte. Die Herren trugen lange Hosen – ein radikaler Wechsel nach den Kniehosen des Ancien Régime. Mit Napoleons Kaiserkrönung hatte sich der Empire-Stil gewandelt. Zwar war die hochgezogene Taille geblieben, doch nun wurde die Kleidung aus kostbaren Stoffen geschneidert und reich verziert. Sie sollte imperialen Glanz auf Napoleon und seine Familie werfen, so auch auf seine Schwester Caroline und ihren Mann Joachim Murat.

Not im Großherzogtum Berg

Nun, mit dem imperialen Glanz war es längst vorbei. Aber was scherte sie das, viel mehr bedrückte sie, dass die Menschen um sie herum so sehr litten und ihre Heimat danieder lag. Obwohl das Großherzogtum Berg auch wirtschaftlich eng an Frankreich gebunden war, hatte Napoleon im Wirtschaftskrieg gegen England seinen Niedergang bewusst in Kauf genommen. Spätestens seit dem Dekret von Trianon 1810 galten auch für bergische Waren so hohe Einfuhrzölle, dass das Großherzogtum faktisch vom französischen und niederländischen Markt abgeschnitten wurde. Viele Unternehmen gingen bankrott, Menschen verloren ihre Arbeit, vielerorts kam es zu soziale Unruhen die Folge.

„Die Franzosenzeit am Rhein geht zu Ende“, dachte Oma Limbach, während sie die Haustür aufschloss, „aber wer weiß was jetzt kommt?“ Dann schaute sie auf ihre alte, verbeulte Tasche und lächelte verschmitzt. Ein bisschen hatte sie vorgesorgt: In der Tasche waren jede Menge goldene Litzen, Knöpfe, feine Spitzen und Garne, was man eben für prächtige Uniformen und Tischtücher so brauchte. Das hatten die französischen Beamten bei ihrer überstürzten Flucht übersehen, und Oma Limbach hatte die teuren Materialien kurz entschlossen eingepackt. Die Beamten brauchten sie nicht mehr, Oma Limbach schon.

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