[Rheinprovinz und Deutschland, 1923/24] Das Weihnachtsfest am Ende eines verheerenden Jahres stand vor der Tür. Susan und Kathi schmückten ihr „Stübchen“ so gut es ging, und schafften Essen herbei.
Viele Menschen aus ihrer Umgebung würden hierher kommen, denn diesmal würde etwas Besonderes geben.
Weihnachtsansprache 1923
Inzwischen war der Rundfunk in Betrieb gegangen; im Oktober 1923 wurde die erste Unterhaltungssendung aus dem Berliner Vox-Haus gesendet. Am ersten Weihnachtstag sollte zum allerersten Mal ein Reichkanzler über das Radio zu den Menschen sprechen. Im „Stübchen“ gab es eines der neuen Radiogeräte.
Pünktlich am 25. Dezember 1923, 20 Uhr, begann die Übertragung. Reichskanzler Marx dankte dem Ausland für die Unterstützung der Notleidenden in Deutschland. „Diese Hilfsbereitschaft menschlich Denkender in allen Ländern der Welt ist wie ein Lichtzeichen, das uns Hoffnung leuchtet in der Finsternis“, sagte er.
Hoffnung .. Lichtzeichen .. einige gab es ja. Mitte November hatten sich die Französisch-Belgische Kontrollkommission mit den Vertretern der Ruhr-Industrie geeinigt; seitdem drehten sich die Räder wieder im Ruhrgebiet. Doch die demoralisierten Menschen im Rheinland sahen noch kein Licht am Ende des Tunnels. Das „Wunder der Rentenmark“ hatte sich für sie noch nicht erfüllt, man musste weiter mit kommunalem Notgeld als Zahlungsmittel zurechtkommen und hoffen, dass es vom Reich akzeptieren würde. In zähen Verhandlungen hatte die Reichsregierung am 5. Dezember 1923 die Zahlung der Erwerbslosenfürsorge mindestens bis zu 31. März 1924 bewilligt. Auf den Schultern des Reichskanzlers aus Köln lastete eine gewaltige Aufgabe: Als Reichkanzler trug er die Verantwortung für das ganze Reich, aber er konnte doch nicht dafür den Kollaps des Rheinlandes in Kauf nehmen!
Nach Weihnachtsansprache des Kanzlers und einem Imbiss verabschiedeten Kathi und Susan ihre Gäste, mit den besten Wünschen für das neue Jahr. Man konnte nur hoffen, dass es auch wirklich ein gutes würde, oder wenigstens ein weniger schlimmes als 1923.
Verhandlungen mit Frankreich
In der Regierung waren unterschiedliche Meinungen vertreten. Der Kölner Oberbürgermeister Adenauer hoffte, in Verhandlungen mit der Besatzungsmacht Frankreich eine einigermaßen verträgliche Lösung zu finden. Reichskanzler Marx selbst war skeptisch, wusste aber im Augenblick auch keinen besseren Rat und ließ Adenauer verhandeln. Außenminister Stresemann hingegen setzte ganz auf England und stellte Verhandlungen mit Frankreich zurück. Zudem waren Adenauer und Stresemann nicht gut auf einander zu sprechen.
Doch Frankreich blieb bei seiner harten Linie; es wollte einen rheinischen Pufferstaat, in dem sich die Alliierten entscheidende Rechte vorbehielten. Adenauer schlug darauf einen westdeutschen Bundesstaat innerhalb des Reiches vor, mit eigener Landesverfassung und Verwaltung. Dieser neue Bundesstaat wollte ganz bestimmt keinen erneuten deutsch-französischen Krieg und könnte dahingehend starken Einfluss auf die deutsche Politik ausüben. Darüber hinaus sollte eine enge Zusammenarbeit der rheinisch-westfälischen, luxemburgischen und lothringischen Schwerindustrie gefördert werden. All diese Vorschläge, so hob Adenauer immer wieder hervor, waren verzweifelte Initiativen, denn ohne das Entgegenkommen und die Mithilfe der Besatzungsmacht konnte man diese andauernde und übermächtige Krise nicht überstehen.
Als Ende des Jahres Frankreich endlich einzulenken schien, bat Adenauer um ein Gespräch mit dem Kabinett. Am 9. Januar 1924 traf man sich in der Reichskanzlei. Als Außenminister Stresemann von den Verhandlungen erfuhr, sprach er sich strikt dagegen aus. Fortan durften Adenauer und seine Kollegen nicht mehr als autorisierte Vertreter des Reiches auftreten. Aber genau das verlangte der Präsident der Alliierten Rheinlandkommission Tirard bei der nächsten Unterredung am 19. Januar. Weitere Verhandlungen gab es dann nicht mehr.
Abzug der Separatisten
In Koblenz war die Rheinische Republik gescheitert. Josef Friedrich Matthes war am 27. November zurückgetreten, Hans Adam Dorten war nach Bad Ems gegangen und agitierte von dort aus letztlich erfolglos weiter. Auch die „Pfälzische Republik“ scheiterte Anfang 1924. Mit dem Scheitern der Separatisten wurden auch die „Rheinland-Schutztruppen“ im Dezember 1923 und Januar 1924 aufgelöst. Wer Glück hatte, bekam von den Franzosen ein wenig Geld und einen Anzug, der Rest blieb seinem Schicksal überlassen.
Der Abzug der Separatisten aus Königswinter war für den 17. Januar vorgesehen, die Menschen atmeten auf. Am Morgen kam noch einer der Separatisten ins „Stübchen“ und traf auf Kathi. Zunächst wollte sie eine feste Haltung annehmen, dann sah sie, wie müde der Mann wirkte. „Bitte, erschrecken Sie nicht“, sagte er, „ich möchte nichts requirieren. Ich möchte so ein Mäntelchen kaufen, für meine Tochter, mit ehrlichem Geld.“ Kathi sah die Traurigkeit dieses Mannes, vielleicht war auch er ein Ausgewiesener, den keine Großfamilie oder Freunde hatten auffangen können. Sie holte eines ihrer Mäntelchen und hielt es ihm hin. „Vermutlich wird es nicht ganz passen“, sagte sie sanft, „bitte nehmen Sie es so mit.“
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