[Rheinprovinz, 1922/23] Die Weimarer Verfassung schrieb den Naturschutz als Aufgabe des Staates fest. Das wir heute das Naturschutzgebiet Siebengebirge haben, verdanken wir auch der Weimarer Republik.
Nach all den schlimmen Ereignissen sehnten sich die Menschen nach ein bisschen Normalität, ein bisschen Freude, und wenn es schon nur wieder gute Zutaten zum Backen waren. Im „Stübchen“ versorgte Susan ihre Gäste so gut es ging, und nebenan summte und brummte Helenes Nähmaschine.
Vor kurzem hatten sie per Post bekommen. Joscha und Marie waren glückliche Eltern einer kleinen Tochter, Amy. Das war die englische Version von „Aimée“. Susan war überglücklich und zugleich ein bisschen traurig, denn so bald würden die beiden mit der Kleinen nicht nach Europa kommen können. „Hab‘ Zuversicht“, sagte ihre Freundin Lottie immer wieder, „Du wirst sie schon kennenlernen, die kleine Amy. Und dann werden wir feiern. Ich lege schon jetzt einige Flaschen zurück dafür.“ Auf dem Weingut Bergmann war man überglücklich über den 1921er Jahrgang, der ein Jahrhundertjahrgang zu werden versprach.
Wiedereröffnung der Steinbrüche?
Seit vielen Jahren kämpfte der Verein für die Verschönerung des Siebengebirges (VVS) schon für den Erhalt der Sieben Berge. Man hatte immer wieder Geld aufgetrieben, Grundstücke aufgekauft und Verfahren durchgestanden. Doch nach dem Krieg lag alles darnieder, es fehlte an allen Ecken und Enden, und auch der VVS hatte kein Geld mehr.
Nun sollten alte Steinbrüche wieder eröffnet werden. Der VVS und der 1906 gegründete Rheinische Verein für Denkmalpflege und Heimatschutz protestierten, und sie bekamen prominente Unterstützung. Der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer stellte sich auf ihre Seite. „Das Siebengebirge“, so sagte er, „sei ein rheinischer Nationalpark, dessen, wenn auch nur teilweise, Vernichtung eine starke Entrüstung der ganzen rheinischen Bevölkerung hervorrufen würde.“ Die Leute zählten darauf, dass unser Siebengebirge für die Erholung suchende ärmere Stadtbevölkerung zur Verfügung stünde.
Naturschutz als Aufgabe des Staates
Und noch etwas war fundamental neu: Die Artikel 150 der Weimarer Verfassung schrieb den Naturschutz fest. „Die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und der Natur sowie die Landschaft genießen den Schutz und die Pflege des Staates.“
1920 hatte Preußen eine Ermächtigung für die Ausweisung von Naturschutzgebieten erlassen. Am 7. Juni 1922 wurde das Siebengebirge als Naturschutzgebiet ausgewiesen, mit etwa 4200 Hektar reichte es vom Ennert bis zur Südgrenze des Regierungsbezirks Köln am Breitbacher Graben. Damit war es eines der ältesten Naturschutzgebiete in Deutschland nach dem Neandertal und der Lüneburger Heide. Diese Verfügung war noch recht bescheiden und natürlich sahen einige Winzer und Waldbauern ihre Interessen bedroht, doch es war ein Anfang. Nch war die Verfügung nicht rechtskräftig, denn sie musste durch die interalliierte Rheinlandkommission bestätigt werden.
Neue Pläne
Auch Kathis Familie freute sich riesig. „Recht hat er, der Adenauer“, sagte Susan, „da machen wir mit! Einmal im Monat, ein richtiges Jahresprogramm!“ Kathi strahlte. „Wir können uns für jede Jahreszeit, noch besser jeden Monat etwas Besonderes ausdenken“, sagte sie eifrig, „Erdbeeren, Maibowle, Kräutertouren mit Mama, Weinproben, im Winter Bohnensuppe und Reibekuchen und wenn’s schneit, gehen wir mit den Kindern rodeln.“ Auch Susan war begeistert. „Kathi, Du könntest Fahrten organisieren und Führungen, Du kennst doch hier jeden Winkel!“
Nun kam auch Walter hinzu. „Wisst Ihr“, sagte er, „auf dem Weingut haben wir Platz genug, da können wir glatt einen Gästeraum einrichten und Leute auch mal über Nacht behalten.“ Ja, das ist wunderbare Idee“, sagte Susan mit einem wehmütigen Lächeln, „Mama und Papa hätte das bestimmt gefallen, und wie glücklich wäre Jakob jetzt.“ „Ja“, sagte Kathi, und auch ihr schossen die Tränen in die Augen beim Gedanken an den lieben alten Herrn. „Aber er ist in Gedanken dabei. Unsere Gäste können Lebensmittel und Kleidung aus dem ‚Stübchen‘ mitnehmen und hier vom Weingut, alles zum Selbstkostenpreis, das wäre bestimmt in seinem Sinne.“
Während der nächsten Wochen machten sie sich an die Vorbereitung. Bald stand das Programm, der Gastraum war hergerichtet und Kathi hatte schon erste Gäste herumgeführt. Sobald die Verfügung rechtskräftig wäre, sollte es ein großes Fest geben.
Abzug der Amerikaner
Zur Jahresmitte 1922 zogen verbliebenen American Forces in Germany ab. Zum Bedauern Major General Allens, der zwar die USA sobald als möglich entlasten wollte, jedoch den Frieden am Rhein und ein Wiederaufblühen von Handel und Wandel noch lange nicht gesichert sah. Während die Franzosen Hunderte Milchkühe forderten, schrieb er in sein Rheinland-Tagebuch, versorgten die Amerikaner unterernährte Kinder. Noch immer war die Welt aus dem Gleichgewicht.
20. Januar 1923: Das Siebengebirge wird Naturschutzgebiet
Erst Monate später bestätigte die Alliierte Rheinlandkomission die Verfügung, am 20. Januar 1923 trat sie in Kraft. Da standen schon französische und belgische Besatzungstruppen im Ruhrgebiet, und die Menschen hatten andere Sorgen.
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