American Forces in Germany

Ehrenbreitsteinstein 1919
Ehrenbreitsteinstein 1919

[Rheinprovinz, Herbst 1919] Chiara in Amerika war erleichtert, dass der Krieg endlich vorbei war. Aber noch immer waren ihr Mann John und viele Kameraden in Europa. Dann kam ein Brief aus Koblenz.

General Allen und die American Forces in Germany

Endlich erhielt Chiara wieder einen Brief von ihrem Mann John, er war in Koblenz aufgegeben worden. „Nun werden wir mit ungefähr 7.000 Mann in Koblenz bleiben. Durch die Abstimmungsgespräche mit den Franzosen, den Briten in Bonn und Köln und den Belgiern in Aachen haben wir schon einige Orte entlang des Rheins gesehen.“

Das gab ihr einen Stich durch ihr Herz. Die American Forces in Germany, ihre Landsleute, waren nun als Besatzer in der Heimat ihres geliebten Großvaters Lorenz. Sie las weiter.

„General Pershing hat Major General Henry T. Allen zum Kommandeur der AFG ernannt, eine gute Wahl. Auch wenn es eine kleine Besatzungszone ist, die ihn vor keine große militärische Herausforderung stellen wird – es wird eine heikle politische und diplomatische Mission, die einen hochrangigen und erfahrenen Offizier erfordert. Wer weiß, was noch auf uns zukommt? In Versailles haben sie den Friedensvertrag unterzeichnet, aber wirklichen Frieden haben wir noch nicht. Viele unter den Kameraden denken, dass Deutschland eine härtere Niederlage hätte erleiden müssen.

Wir wollen den Frieden, wir wollen wieder Handel treiben. Europa soll wieder aufgebaut und Deutschland möglichst schnell in die Lage gebracht werden, die ihm auferlegten Reparationen zu zahlen. Unsere Truppen sollen so bald wie möglich heimkehren. Deshalb ist dem General ist an einem Ausgleich mit den Deutschen gelegen.

Komm her!

Leider kann ich Dir noch nichts über Lottie und Matthias sagen. Es gilt Fraternisierungsverbot, aber es wird nicht ewig andauern. Mein Liebling, ich vermisse Euch alle so sehr und wünsche mir nichts sehnlicher, als Euch in den Armen zu halten. Meine Order hält mich hier, es gibt so viel für uns zu tun, und vor allem müssen wir die Versorgung der Truppen sicherstellen. Darum bitte ich Dich, komme Du her! Unsere Kinder sind bei meiner Mutter in den besten Händen, und dann kommen sie in den Schulferien nach! Du sprichst Deutsch, und Du bist eine herausragende Logistikerin. Und vielleicht können wir als Familie etwas dazu beitragen, die Welt ein Stückchen sicherer und besser zu machen.

Überrascht legte Chiara den Brief nieder. Ihr Herz klopfte und ihre Gedanken überschlugen sich. John würde noch nicht heimkommen, er brauchte ihre Unterstützung vor Ort, und sie konnte vielleicht doch noch einmal ihre deutschen Verwandten und die Heimat ihres Großvaters sehen. Und so, wie sie ihre Kinder kannte, wären sie bestimmt enttäuscht, wenn sie jetzt kneifen würde.

Wenige Wochen später war Chiara auf dem Weg über den Atlantik.

Chiara und John

Anfang Oktober traf Chiara in Koblenz ein, sehnsüchtig erwartet von ihrem Mann John. Sie war auf einem der Schiffe gereist, die Vorräte für die US-Truppen brachten. So kam sie über den Ozean und den Rhein hinunter – vorbei an Düsseldorf, Köln, Bonn, dem Siebengebirge den vielen Städtchen am Rhein bis nach Koblenz. Schon von weitem sah sie die amerikanische Flagge über der Festung Ehrenbreitstein.

Überglücklich umarmte John dann seine Frau. Einige Tage zusammen waren ihnen vergönnt, dann zeigte John ihr das Hauptquartier der Truppen; er war stolz auf das, was hier entstand. General Allen setzte auf Feldübungen wie auch auf Unterricht im Klassenraum. War Deutsch zunächst Wahlfach, wurde es bald Pflicht. Auf dem Unterrichtsplan standen Fahrzeugführung, Reparatur von Automobilen und Motorrädern, Schmiedearbeiten, Schweißarbeiten, Pflege der Waffen und der Ausrüstung, Radiobetrieb und -reparatur, Kartographie und technisches Zeichnen. Bei der Kavallerie wurden Stall- und Sattelreparaturen unterrichtet. Die Quartiermeister lehrten Kochen, Backen und Schuhreparatur, sogar eine kleine Farm wurde aufgebaut.

Auf dem Weg nach Bonn

Endlich war der Kontakt zu Einheimischen erlaubt. Einige Wochen später saßen Chiara und John in einem Zug, der sie von Koblenz nach Bonn bringen würde. Dort waren sie mit ihrer deutschen Familie verabredet. Während die Rheinlandschaft an ihr vorbeizog, überschlugen sich Chiaras Gedanken. Von den Bergmanns kannte sie Lottie und Matthias, doch das war nun fast 25 Jahre her. Und ein Krieg lag dazwischen. Chiara erkannte die Region, nicht aber die Menschen. Waren das die offenen, fröhlichen Rheinländer, wie ihr geliebter Großvater einer gewesen war? Einige schauten sie offen an, lächelten sogar ein wenig, andere Gesichter blieben verschlossen.

Kriege enden nicht im Frieden

Sicher, die Bestimmungen des Versailler Vertrags und die Besatzung hatten die Deutschen schwer getroffen. Viele fürchteten Sanktionen und Willkürmaßnahmen seitens der Franzosen. Das konnte sie verstehen, doch sie fühlte auch mit den Franzosen, deren Land so sehr unter dem Krieg und der Besatzung durch die Deutschen gelitten hatte.

„Wir sind hier, weil wir möglichst schnell Frieden an dieser Grenze haben wollen, Wiederbau, Handel, die Wirtschaft soll bald wieder in Gang kommen“, sagte John. „Ich weiß“, antwortete Chiara, „aber Kriege enden nicht im Frieden. Dafür müssten die Franzosen einsehen, dass ein im Chaos versinkendes Deutschland niemandem helfen würde, und die Deutschen müssten endlich zugeben, welches Unrecht sie Belgien und Frankreich angetan haben. Ich fürchte, das wird noch Jahre dauern, wenn überhaupt. Da behauptet dieser Ludendorff doch glatt, dass seine Armee im Feld gar nicht besiegt wurde, sondern dass sie ‚von hinten erdolcht‘ wurde. ‚Stabbed in the back‘ hat er einem englischen Offizier gesagt. Wie sollen wir da an die Friedensbereitschaft der deutschen Militärs glauben?“

Und wie würde mal ihnen als US-Amerikanern entgegenkommen? Bei den Friedensverhandlungen hatten die Deutschen – viele sicher ehrlich, andere in zynischer Spekulation – auf Präsident Wilson gehofft, auf seinen „Frieden ohne Sieg“. Doch in Versailles hatten massive Interessen gegen Wilsons Idee gestanden. Vor allem der französische Ministerpräsident Clemenceau hatte unnachgiebig auf eine Bestrafung Deutschlands gedrängt. Und auch der US-Präsident selbst hatte wenig Grund für Milde gesehen – der Jubel vieler Deutsche über den Diktatfrieden von Brest-Litowsk, der Russland ein Drittel seines europäischen Besitzes raubte, nahm ihn doch sehr gegen sie ein. Um Lloyd George und Clemenceau für seine Vision vom Völkerbund zu gewinnen, war er ihnen weit entgegen gekommen. So war der Versailler Vertrag kein guter Kompromiss: für die Deutschen war es ein Gewaltfrieden, den Franzosen war er zu milde.

Wiedersehen nach dem Krieg

Doch als Chiara und John in Bonn ankamen und mit bangen Gefühlen aus dem Zug ausstiegen, lösten sich alle Bedenken auf. Da wartete schon eine Gruppe Leute auf den Zug aus Koblenz, und sie erkannte Lottie und Matthias, gealtert zwar, dann Susan, und drei junge Leute, von denen zwei wie Lottie und Matthias in jungen Jahren aussahen. Lottie kam auf sie zu, erst zögernd, dann immer schneller, und schließlich blieb sie mit Tränen in den Augen vor ihr stehen und umarmte sie. „Ich bin so froh, dass dieser Wahnsinn endlich vorbei ist“, sagte sie immer wieder.

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