[Österreich-Ungarn, 1914] Serbien war nach den Balkankriegen ein starkes und ehrgeiziges Königreich, ein beunruhigender Nachtbar für den Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn, in dem viele Slawen lebten.
Serbiens Siege bestärkten die slawischen Untertanen des Kaisers darin, Forderungen nach weitgehender Autonomie zu stellen. Wäre es nach Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf gegangen, so wären seine Truppen längst losgezogen, Serbien zu erobern und Österreich-Ungarn einzuverleiben.
Ausgleichspläne des Thronfolgers
Als einer der wenigen in Österreich-Ungarn hoffte der designierte Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand, dass er seine südslawischen Untertanen durch einen Ausgleich ähnlich dem österreichisch-ungarischen mit der Habsburgermonarchie versöhnen konnte. So entwarf er Pläne für die Umgestaltung Österreich-Ungarns; ein föderalistischer Bund mit einem dritten Teilstaat der Südslawen sollte es werden. Doch damit hatte er sich viele Feinde unter den Deutsch-Österreichern und den Ungarn gemacht. Kaiser Franz Joseph lehnte seinen Nachfolger ab, politisch wie auch persönlich. Wütend und ohnmächtig zugleich fürchtete Franz Ferdinand, dass er zu spät oder gar nicht mehr auf den Thron käme.
Doch auch viele Serben in der Monarchie wollten keinen Ausgleich, sondern einen unabhängigen Staat aller Südslawen. Der wiederum hätte für Österreich den Verlust großer Gebiete, vielleicht sogar das Ende der Donaumonarchie bedeutet. Im Königreich Serbien hielt man den Thronfolger für einen Kriegshetzer und unerbittlichen Feind.
Das Thronfolgerpaar
Oft dachte Gräfin Sophie Csabany an ihre Namensvetterin Sophie Chotek, eine Tochter des langjährigen Gesandten Österreich-Ungarns in Belgien. Nun war sie die Ehefrau des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand, und eine tiefe Liebe verband die beiden. Viele Steine hatte man ihnen in den Weg gelegt, denn obwohl die Choteks uralter böhmischer Adel waren, galt Sophie als nicht ebenbürtig. Trotz aller Katastrophen, die den Wiener Hof heimgesucht hatten, hielt der greise Kaiser an seinen starren Regeln fest. Erst nach langem Widerstreben und nur unter strengen Bedingungen hatte er zugestimmt. Sophie und ihre Kinder mit Franz-Ferdinand würden den Familiennamen von Hohenberg tragen, nicht Habsburg, und Franz-Ferdinand musste in ihrem Namen eine Thronverzichtserklärung unterschreiben.
Obwohl Sophie die Frau des Thronfolgers war, wurde am Wiener Hof als zweitklassig behandelt. In der Hofloge im Theater durfte sie nicht neben ihrem Mann sitzen, bei Paraden nicht in seiner Kutsche mitfahren. Die erste Dame am Wiener Hof war Erzherzogin Zita, die junge Frau des kaiserlichen Großneffen Karl, nicht die Gattin des Thronfolgers. Erst 1909 verlieh Kaiser Franz Joseph Sophie den Titel Herzogin von Hohenberg und gestattete ihr, ab sofort den Titel „Hoheit“ zu führen. Unter den vielen Gratulanten war auch Deutschlands Kaiser Wilhelm II., der seit vielen Jahren mit Franz Ferdinand befreundet war.
Auch Gräfin Sophie Csabany freute sich von Herzen für ihre Namensvetterin. Auch sie hatte viel erdulden müssen, bevor sie endlich ihr Glück mit ihrem Mann und ihren Kindern genießen konnte. Sie hoffte von Herzen, dass auch die Herzogin von Hohenberg glücklich würde.
Princip erschießt das Thronfolgerpaar
Dann geschah das Schreckliche. Im Juni 1914 vertrat Franz-Ferdinand den Kaiser beim Manöver in Bosnien und Herzegowina. Am 28. Juni 1914, dem Jahrestag der tragischen Schlacht auf dem Amselfeld, wurden Franz-Ferdinand und seine Ehefrau Sophie Chotek in Sarajevo von dem bosnischen Studenten Gavrilo Princip erschossen. Schwer war es nicht gewesen. Es hatte Warnungen gegeben, doch sie gehörten zum Leben des Thronfolgers, wohin er auch kam, und waren in diesem Fall vage. Schon Wochen vor dem Besuch brachten die Zeitungen den Zeitplan und die Fahrtroute der hohen Gäste, dann waren die Sicherheitsvorkehrungen völlig unzureichend. Doch Erzherzog Franz Ferdinand hatte sich nicht von dem Besuch in Sarajevo abhalten lassen. In Lebensgefahr wären sie immer, man müsste nur auf Gott vertrauen, hatte er gesagt. Nun waren der Thronfolger und seine Frau tot.
Bange Gedanken
Gräfin Sophie und Graf Andras Csabany waren erschüttert. Sie trauerten um das Thronfolgerpaar, und ihnen war klar, dass dies für die „Falken“ unter den Entscheidungsträgern ein Kriegsgrund war. „Jetzt werden die Militärs übernehmen“, sagte der Graf, „jetzt bekommen sie den Krieg, den sie immer gewollt haben“. Als Diplomaten wussten sie um die Bündnisse in Europa. „Doch wenn Österreich-Ungarn Serbien angreift“ fuhr er düster fort, „wird sich Russland auf deren Seite schlagen. Auch der Zar rüstet seit langem gewaltig auf. Mit Deutschland sind wir fest verbündet, viele Militärs in Deutschland wollen den Krieg, um sich aus der Umklammerung zu befreien, und zwar, bevor Russland völlig aufgerüstet hat.“ Sophie war noch bleicher geworden. „Russland ist mit Frankreich verbündet“, sagte sie, „dann stünde auch Frankreich gegen Deutschland. Ein Zweifrontenkrieg. Und wenn …“ Sophies Stimme brach, doch ihr Mann wusste wohl, was sie sagen wollte.
Für einen Zweifrontenkrieg war geplant, Frankreich schnell niederzuwerfen, noch bevor Russland vollständig mobilisiert hatte. Ein schneller Vormarsch auf Paris bedeutete aber den Durchzug durch das neutrale Belgien. Deutsche Soldaten, Sophie Landsleute, kämen als Feinde in ihr Belgien – das Land ihrer Oma, und nach den vielen Jahren in Brüssel auch ihr Land.
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